Kammermitteilungen 4/2022

Zu den davon erfassten, im arbeitsgerichtlichen Verfahren vertretungsberechtigten Personen gehört unbestritten gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ArbGG auch der hier für die Beklagte auftretende Arbeitgeberverband. Für die Verbände gibt es allerdings derzeit noch keinen zwingend zu verwendenden sicheren Übermittlungsweg, da das besondere elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (im Folgenden eBO) zum einen zum hier streitgegenständlichen Zeitpunkt der Berufungseinlegung technisch noch nicht funktionsfähig war und dessen aktive Nutzungspflicht zum anderen erst zum 1.1.2026 beginnt. Grundsätzlich besteht daher für die Arbeitgeberverbände noch keine Verpflichtung, Schriftsätze als elektronisches Dokument einzureichen. 3. Kontrovers diskutiert und höchstrichterlich noch nicht entschieden ist die hier zu entscheidende Frage, wie es sich auswirkt, falls als zur Prozessführung Beauftragter nunmehr ein Syndikusrechtsanwalt des bevollmächtigten Arbeitgeberverbands nach Maßgabe des § 11 Abs. 4 S. 2 ArbGG i.V.m. § 46c Abs. 2 Nr. 2 2. Alt. BRAO auftritt. Da für den Syndikusrechtsanwalt ein personenbezogenes beA eingerichtet ist, ihm in dieser Funktion also ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung stünde, stellt sich die Frage, ob insoweit eine aktive Nutzungspflicht herzuleiten und zu bejahen ist. (...) Mit Beschluss vom 15.12.2021, 4 BV 139/21, hat das Arbeitsgericht Stuttgart eine durch die Syndikusrechtsanwältin per beA eingereichte Antragsrücknahme im Beschlussverfahren für rechtswirksam erachtet und daraufhin das Verfahren eingestellt. Zur Begründung führt es zusammengefasst aus, der bei Prozessvertretung durch einen Verband handelnde Syndikusrechtsanwalt sei über § 11 Abs. 2 S. 3 ArbGG zugleich auch „verantwortende Person“ im Sinne von § 46c Abs. 3 S. 1 Var. 1, 2 ArbGG, andernfalls sei nicht nachvollziehbar, wofür die Einrichtung „seines“ beA durch den Gesetzgeber erfolgt sein soll, wenn der Syndikusrechtsanwalt es für die einzige Tätigkeit, die er nach außen erbringen dürfe, gar nicht „verantwortende Person“ sein könne. Es möge zwar gute Gründe geben, eine Nutzungspflicht zu verneinen, daraus jedoch den Ausschluss von Nutzungsmöglichkeiten zu schlussfolgern, erscheine überschießend. In seiner Anmerkung vertritt Tiedemann explizit die Auffassung, eine ERVNutzungspflicht des Syndikus sei abzulehnen, stimmt aber der Nutzungsmöglichkeit indes zu (Tiedemann, jurisPR-ArbR 19/2022 Anm. 9). Mit Urteil vom 3.5.2022, 14 Sa 1381/21 hat sich das Landesarbeitsgericht Hamm der Rechtsauffassung des ArbG Stuttgart angeschlossen und eine per beA eingereichte Berufung eines Syndikusrechtsanwalts ebenfalls für zulässig erachtet. Entgegen Schrade/Elking komme es im Rahmen des § 46c ArbGG nicht auf das ERV-Pflichtenprogramm des Verbandes bzw. Vertretungsfragen an. Mit Urteil vom 18.7.2022, 4 Ca 1688/22 hat das Arbeitsgericht Stuttgart schließlich seine Rechtsprechung weiter präzisiert und entschieden, dass jedenfalls keine ERV-Nutzungspflicht bestünde für einen Verbandsmitarbeiter (hier: Rechtsschutzsekretär), der nur zur Ausübung eines Nebenberufs über eine Zulassung als Rechtsanwalt verfügt, im Prozess jedoch im Rahmen seiner hauptberuflichen Verbandstätigkeit und gerade nicht als Rechtsanwalt auftrat; es macht aber gleichzeitig deutlich, eine grundsätzliche ERV-Nutzungspflicht von Syndikusrechtsanwälten unabhängig von deren Auftreten nach außen abzulehnen. d) Nach hier vertretener Auffassung besteht nicht nur eine aktive ERV-Nutzungsmöglichkeit, sondern eben auch eine aktive ERV-Nutzungspflicht jedenfalls in den Fällen, in denen nach außen erkennbar für den Verband ein Syndikusrechtsanwalt handelt, wie dies auch in der Kommentierung von Natter (JurisPK-ERV/Natter, 1. Aufl., § 46c ArbGG, Rn. 41.1) vertreten und begründet wird. (...) Handelt für den Verband – wie hier – nach außen erkennbar ein Syndikusrechtsanwalt, so folgt aus seiner Stellung als Rechtsanwalt die Pflicht, sein eigens dafür bereit gestelltes beA zu benutzen, um Schriftsätze an das Gericht zu übermitteln. Obliegt hingegen die konkrete Handlung qua erteilter Vollmacht einem Assessor, so hat dieser mangels Einrichtung eines beA oder Einrichtung eines sicheren Übermittlungswegs für den Verband (noch) keine aktive Nutzungspflicht für den ERV. Dieses Verständnis deckt sich mit der in der Literatur dazu auch vertretenen sog. „2-Hüte-Theorie“. Die Differenzierung der Pflichten von Assessoren und Syndikusrechtsanwälten (erläuternd hierzu Pulz, NZA 2018, 14 ff.) hat auch in der Vergangenheit nicht zu Problemen geführt und bereitet soweit ersichtlich in der Praxis keine Schwierigkeiten. Sie kann auch in puncto ERV fortgesetzt werden. Ist der Syndikusrechtsanwalt zugleich als Rechtsanwalt zugelassen oder ist er im Rahmen mehrerer Arbeitsverhältnisse als Syndikusrechtsanwalt tätig, hat gem. § 46c Abs. 5 2. HS BRAO eine gesonderte Eintragung für jede der Tätigkeiten zu erfolgen. Für jede Eintragung ist jeweils ein gesondertes beA einzurichten, so dass auf den jeweiligen Tätigkeitsbereich zugeschnittene Zugangsberechtigungen vergeben werden können und die Vertraulichkeit innerhalb der jeweiligen Mandats- und Arbeitsverhältnisse gewährleistet werden kann. Es ist dann aber nicht einsichtig, warum das eigens für die Tätigkeit als Verbandssyndikusrechtsanwalt zugeordnete beA nicht auch zu eben jenem Zweck genutzt werden müsste, wie dies der übrigen Rechtsanwaltschaft ebenso aufgebürdet wird. Rechtsprechungsübersicht KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 4/2022 87

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