Kammermitteilungen 3/2022

Das aktuelle Thema Stadt, Land, Fluss ... weshalb sinkende Anwaltszahlen nicht nur ein Problem für die Fläche sind Von Rechtsanwältin Sabine Fuhrmann, Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Sachsen Es gibt Trends, die sind sehr kurzlebig. Drei Monate 9Euro-Ticket und die damit verbundene Mobilität, das war ein sehr positiver Trend, den wir im Sommer 2022 gemeinsam erleben durften. Und dann gibt es Trends, die nicht gleichzeitig und nicht überall zu Tage treten – und vor denen gleichwohl nicht die Augen verschlossen werden sollten. Die aktuelle Entwicklung der Anwaltszahlen gehört zu den letztgenannten, denn die Anwaltszahlen in den regionalen Rechtsanwaltskammern entwickeln sich unterschiedlich, jedenfalls noch. Was haben die Rechtsanwaltskammer Sachsen, eine Flächenkammer, die ein ganzes Bundesland umfasst, und die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf also gemeinsam? Eine Online-Umfrage der BRAK zum Beginn des Jahres 2022 in den Neuen Bundesländern befasste sich mit den Entwicklungen der Anwaltszahlen in der Fläche, außerhalb der Ballungszentren und mit großem räumlichen Abstand zu den Fakultätsstandorten und Referendarausbildungsstellen. Das Ergebnis war ernüchternd und wie befürchtet. Wo in Ballungszentren und den Großstädten der Kampf um die Talente und Fachkräfte entbrannt ist, gibt es in der Fläche kaum noch jemanden, mit dem man überhaupt kämpfen könnte. Ist die Anwaltschaft in der Fläche vom Aussterben bedroht? In Kammerbezirken, die jährlich (!) mehr als 10% ihrer Mitglieder verlieren, wohl ja. Ist dies nur ein Problem der Fläche, nicht aber der Städte? Man muss wohl sagen: noch. Denn es ist zu befürchten, dass die sinkenden Anwaltszahlen auch in den Ballungszentren ankommen werden – wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung. Die Zahl der zugelassenen Syndikusrechtsanwältinnen und Syndikusrechtsanwälte wächst in den vergangenen Jahren und auch aktuell sehr stetig. Ohne diesen Zuwachs würden die Anwaltszahlen bundesweit einen sinkenden Trend zeigen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: demografischer Wandel, Fachkräftemangel, anhaltende Kritik an der juristischen Ausbildung etc. Die Umfrage der BRAK befasste sich auch mit der Referendarausbildung und der Frage insgesamt, wie sich die Anwaltschaft um ihren eigenen Nachwuchs bemüht. Denn die demografische Entwicklung der Anwaltschaft zeigt ein überregionales Problem auf: Das Durchschnittsalter der Anwaltschaft steigt, die BabyBoomer-Generation verabschiedet sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den wohlverdienten Ruhestand. Der Nachwuchs fehlt allerorten – und das Berufsbild der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts war schon lange nicht mehr so unattraktiv wie heute. Die Politik sieht Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als „professional enablers“ für Geldwäsche und andere Straftaten, in der Presseberichterstattung z.B. im Rahmen von Strafverfahren werden Verteidigerinnen und Verteidiger als diejenigen dargestellt, die nicht etwa für die Einhaltung der Verfahrensgrundsätze stehen, sondern das Laufenlassen von Schuldigen ermöglichen. Das, was den freien Beruf der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts ausmacht, nämlich die Stellung als Organ der Rechtspflege, spielt dabei keine bis nur eine untergeordnete Rolle. Für Assessorinnen und Assessoren ist die Zulassung zur Anwaltschaft nicht mehr erklärtes lebensprägendes Berufsziel – also kein „Ankommen“, sondern sie verkommt immer mehr zu einer Durchlaufstation – einer Verlegenheitslösung. Im Freistaat Sachsen haben wir in den vergangenen Jahren den Trend festgestellt, dass die Verweildauer in der Anwaltschaft von Kolleginnen und Kollegen, die nach erfolgreich absolviertem Referendariat und Assessorexamen zur Anwaltschaft zugelassen werden, immer kürzer wird. Für den Kammerbezirk Sachsen haben wir diese Verweildauer analysiert und festgestellt, dass die Kolleginnen und Kollegen immer früher freiwillig auf die Zulassung verzichten und das zu einem Zeitpunkt in der persönlichen Erwerbsbiografie, in dem sie die praktischen Erfahrungen in den ersten Berufsjahren gerade gemacht haben, im Kanzleialltag und im Beruf der Rechtsanwältin und des Rechtsanwalts angekommen sein sollten. An diesem so wichtigen Punkt, an dem die Berufserfahrung einsetzt. Leider ist dabei festzustellen, dass insbesondere viele Kolleginnen in dieser Phase des Berufslebens auf ihre Zulassung verzichten. Der Weg wird eingeschlagen in Richtung Gerichte und Verwaltung, Rechtsabteilungen und Unternehmen – oder in ganz andere Gefilde. Sicherlich sind die Gründe hierfür individuell und vielschichtig, doch es bleibt dabei, dass der juristische Nachwuchs, der ohnehin kaum die durch den demografischen Wandel entstehenden Lücken schließen kann, aus der Anwaltschaft verschwindet und zwar ohne Aussicht auf schnelle Rückkehr. Die vielbeschriebene Generation Z, die mit Hashtags wie #newwork die Work-Life-Balance neu definieren möchte, stellt sicherlich andere Anforderungen an den Arbeitsalltag, an Arbeitszeitmodelle und Vergütungsstrukturen als man es von bisherigen Strukturen im anKammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 45

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