Kammermitteilungen 3/2022

auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) und Justizgewährung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) geboten sein, da es zweifelhaft erscheint, ob es sich rechtfertigen lässt, dass einem Rechtsanwalt wegen der Verletzung beruflicher Pflichten im elektronischen Rechtsverkehr auch in privaten Angelegenheiten der Zugang zu den Gerichten verwehrt bleibt. Vorliegend kann jedoch dahinstehen, welches Begriffsverständnis § 55d VwGO zugrunde liegt. Selbst wenn § 55d VwGO verlangt, dass ein Rechtsanwalt als solcher vor Gericht auftritt, so ist auch diese Voraussetzung vorliegend erfüllt. Der Antragsteller ist ausweislich des Briefkopfes seiner Schriftsätze stets als „Rechtsanwalt“ aufgetreten und hat daher bewusst diese Rolle angenommen. Es ist daher – ohne dass der Antragsteller dies gesondert hervorheben müsste – davon auszugehen, dass er sich im hiesigen Verfahren als Rechtsanwalt selbst vertritt, was bei seinem Obsiegen gem. § 173 S. 1 VwGO i.V.m. § 91 Abs. 2 S. 3 ZPO – zur Folge hätte, dass er vom Antragsgegner seine Gebühren und Auslagen erstattet verlangen könnte (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 19.2.2018 – 17 W 198/17). Auch der sich selbst vertretende Rechtsanwalt ist als Rechtsanwalt zu behandeln, da die Personenverschiedenheit von Anwalt und Mandant kein kennzeichnendes Merkmal einer anwaltlichen Tätigkeit ist (vgl. BGH, Urt. v. 10.11.2010 – IV ZR 188/08 ; Toussaint in: MüKoZPO, 6. Aufl. 2020, ZPO § 78 Rn. 29). § 55dVwGO ist schließlich auch sachlich anwendbar. Bei dem Antrag nach § 123 VwGO handelt es sich um einen schriftlichen Antrag, der nunmehr nach § 55d VwGO durch einen Rechtsanwalt elektronisch einzureichen ist (zum Schriftlichkeitserfordernis siehe Puttler in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, VwGO § 123 Rn. 65). Eine schriftliche Antragstellung war auch nicht ausnahmsweise nach § 55d S. 3 VwGO möglich. Nach dieser Vorschrift bleibt eine Übermittlung nach allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend unmöglich ist. Die vorübergehende Unmöglichkeit ist nach § 55d S. 4 VwGO glaubhaft zu machen. Dies hat der Antragsteller nicht getan. Er hat vielmehr lediglich pauschal behauptet, dass es bei der Nutzung seines besonderen elektronischen Anwaltspostfaches zu Zugangsstörungen komme. Art und Häufigkeit der Zugangsstörungen hat der Antragsteller ebenso wenig dargelegt und glaubhaft gemacht wie etwaige Bemühungen, diese Störungen zu beseitigen. Dass der Antragsteller die bisherigen Schriftsätze einscannen müsste, um sie elektronisch einreichen zu können, begründet entgegen seiner Ansicht keine technische Unmöglichkeit i.S.v. § 55d S. 3 VwGO. (jki) Akteneinsicht vor Ort nicht unzumutbar – OVG Hamburg (Beschl. v. 21.4.2022, Az. 2 So 29/22) In einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren hat die Klägerin beantragt, die „Gerichtsakte zum Zweck der Akteneinsicht gemäß § 100 VwGO in das besondere elektronische Anwaltspostfach“ ihres Prozessbevollmächtigten „zu übermitteln“. Die gegen die Entscheidung des Vorsitzenden, die Gerichtsakte sei auf der Geschäftsstelle der Kammer einzusehen, eingelegte Beschwerde wurde verworfen. Diese Beschwerde sei bereits unstatthaft gemäß § 146 Abs. 2 VwGO, weil sie sich gegen eine prozessleitende Verfügung des Kammervorsitzenden richte, die mit der Beschwerde nicht angefochten werden könne. Unabhängig von dieser Frage könne auch nicht der Auffassung der Klägerin gefolgt werden, es sei ein Antrag nach § 100 Abs. 1 S. 2 VwGO gestellt. Die Erteilung einer Abschrift der in Papierform geführten Prozessakte, d.h. eine Vervielfältigung des Originals, umfasst nicht die Herstellung einer elektronischen Akte und deren Übermittlung in das besondere elektronische Anwaltspostfach. Insoweit handele es sich um einen Fall nach § 100 Abs. 3 S. 2 VwGO, also um Akteneinsicht, soweit nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Die Umwandlung der Papierakte durch das Gericht in eine elektronische Akte steht dabei im Ermessen des Gerichts. Ein Anspruch besteht folglich nicht. (jki) BGH: Wahl zur Satzungsversammlung im Kammerbezirk München gültig – BGH (Urt. v. 30.5.2022, Az. AnwZ (Brfg) 47/21) Der Kläger ist zugelassener Rechtsanwalt und Mitglied der beklagten Rechtsanwaltskammer. Er beantragt, die nach § 191b Abs. 2 S. 2 BRAO erstmals elektronisch durchgeführte Wahl zur 7. Satzungsversammlung 2019 bei der Bundesrechtsanwaltskammer im Bezirk der Beklagten für ungültig zu erklären. Der Kläger ist der Ansicht, eine elektronische Wahl sei bereits als solche verfassungswidrig, weil sie gegen das Demokratieprinzip und die allgemeinen Wahlgrundsätze der Art. 38 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 und 2 GG verstoße. Dementsprechend sei auch § 191b Abs. 2 S. 2 BRAO nichtig. Zudem habe die konkrete Ausgestaltung der Wahl zur 7. Satzungsversammlung 2019 im Bezirk der Beklagten, insbesondere das eingesetzte Wahlsystem, in mehrfacher Hinsicht gegen verfassungsrechtliche Wahlgrundsätze verstoßen. Der Anwaltsgerichtshof hat die Klage abgewiesen. Auch der Antrag auf Zulassung der Berufung blieb ohne Erfolg. Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils bestehen nicht (§ 112e S. 2 Rechtsprechungsübersicht 58 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022

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