Kammermitteilungen 1/2021

Anwaltsrecht/Berufsrecht )HVWVWHOOXQJVLQWHUHVVH LQ 9HUIDKUHQ GHU $QZDOVJH richtsbarkeit Die Kammer rät Anwaltsvertrag im Fernabsatz?! – Beweislast trifft den Rechtsanwalt Wer sich als Rechtsanwalt für Vertragsverhandlungen und -abschluss ausschließlich elektronischer Kommu- nikationswege bedient, sollte entsprechend über die Möglichkeit des Widerrufs belehren. Sonst droht der Verlust des Vergütungsanspruchs. Dem Bundesgerichtshof (BGH) lag ein Fall zur Ent- scheidung vor, in dem der Mandant den Anwaltsvertrag widerrufen hat, nachdem dieser ausschließlich über Fernkommunikationsmittel zustande gekommen war. Im konkreten Fall hatte der Mandant eine auf Hoch- schul- und Prüfungsrecht spezialisierte Anwaltskanzlei mandatiert und nach dem erklärten Widerruf den ge- leisteten Vorschuss zurückverlangt – und letztlich auch bekommen. Im richtungsweisenden Urteil vom 19.11.2020 (IX ZR 133/19) führt der Senat aus, dass Anwaltsverträge Ver- träge über die entgeltliche Erbringung einer Dienstleis- tung i.S. von § 312 Abs. 1, § 312c Abs. 1 BGB darstel- len und als solche den Regeln über Fernabsatzverträge unterworfen sein können. Maßgeblich sei dabei, dass die Parteien von der Vertragsverhandlung bis zum Ab- schluss des Vertrages für ihre Vertragsgespräche und -erklärungen zu keinem Zeitpunkt gleichzeitig körper- lich anwesend sind. Werden ausschließlich Fernkom- munikationsmittel verwendet, wird nach der gesetz- lichen Regelung in § 312c Abs. 1 BGB vermutet, dass der Vertrag im Rahmen eines für den Fernabsatz orga- nisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems abge- schlossen wurde. Die Beweislast, dass der Vertrags- schluss nicht im Rahmen eines solchen Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt, trägt dabei der Unter- nehmer, mithin der Rechtsanwalt. Dabei werden keine hohen Anforderungen an ein solches Vertriebs- oder Dienstleistungssystem gestellt: Nur Geschäfte, die un- ter gelegentlichem, eher zufälligem Einsatz von Fern- kommunikationsmitteln geschlossen werden, sollen aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzwiderrufs ausscheiden. Hier kommt es nach Auffassung des Senats darauf an, wie der Rechtsanwalt in seinem Geschäftsbetrieb Ver- tragsverhandlungen und -abschlüsse ermöglicht. Ist die Kanzlei personell und sachlich so ausgestaltet und or- ganisiert, dass Vertragsverhandlungen und -abschluss regelmäßig und ohne Weiteres unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln jederzeit möglich sind und ist die Einrichtung derart ausgestal- tet, dass er damit regelmäßig im Fernabsatz zu tätigen- de Geschäfte bewältigen kann, und bietet er diese Mög- lichkeit von sich aus aktiv an, liegt ein entsprechendes System vor. Dies soll bei einem Rechtsanwalt etwa dann der Fall sein, wenn er seine Kanzlei so organisiert hat, dass gerade für die von ihm erstrebten Mandate ty- pischerweise weder für die Vertragsverhandlungen noch für den Abschluss des Mandatsvertrags eine gleichzeitige, persönliche Anwesenheit von Mandant und Anwalt erforderlich ist und der Anwalt eine Man- datserteilung unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln im Außenverhältnis ge- genüber Dritten aktiv bewirbt. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass die nach Abschluss des Vertrags er- folgende Art und Weise der Leistungserbringung hier- für unerheblich ist. Erklärt der Mandant daher den Widerruf, schuldet er keine Vergütung; folglich steht ihm nach erklärtem Wi- derruf sogar ein Anspruch auf Rückzahlung des geleis- teten Vorschusses zu. Das Urteil des Bundesgerichts- hofs bietet folglich Anlass zur Vorsicht: Zwar hat der Bundesgerichtshof im Streitfall offenge- lassen, welche (Mindest-) Anforderungen bei einer Rechtsanwaltskanzlei an ein für den Fernabsatz orga- nisiertes Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu stellen sind (vgl. auch BGH, Urteil vom 23.11.2017 – IX ZR 204/16). Der Senat war aber davon ausgegan- gen, dass sich gerade nicht ausschließen lasse, dass die Kanzlei ein für den Fernabsatz organisiertes Ver- triebs- oder Dienstleistungssystem vorhält und der Anwaltsvertrag in diesem Rahmen abgeschlossen worden sei. Diesem Risiko sollte entsprechend begeg- net werden: Ist ein auf ein begrenztes Rechtsgebiet spezialisierter Rechtsanwalt deutschlandweit tätig, vertritt er Man- danten aus allen Bundesländern und erhält er bis zu 200 Neuanfragen für Mandate pro Monat aus ganz Deutschland, kann dies bei einer über die Homepage erfolgenden deutschlandweiten Werbung im Zusam- menhang mit dem Inhalt seines Internetauftritts für ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebs- und Dienst- leistungssystem sprechen (Leitsatz). Gerade spezialisierte Kanzleien nutzen Onlinekommu- nikationsmöglichkeiten um deutschlandweit Mandate zu generieren, ohne dass der Mandant den Rechtsan- walt vor einer Mandatierung persönlich aufsucht. In Zeiten der COVID-19-Pandemie dürfte dies aber auch bei Kanzleien üblich sein, die eigentlich einen persön- lichen Kundenkontakt pflegen und aufgrund der räum- lichen Nähe auch grundsätzlich anbieten. 10 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 1/2021

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