Kammermitteilungen 3/2022

Stimme vorgesehen, um auf diesem Weg seinen Protest gegen die Beklagte bzw. die zur Wahl stehenden Kandidaten zum Ausdruck zu bringen, hat der Anwaltsgerichtshof zu Recht für unbegründet erachtet. (...) Darüber hinaus hat der Anwaltsgerichtshof aber auch rechtsfehlerfrei festgestellt, dass die Wahlberechtigten bei dem von der Beklagten eingesetzten Wahlsystem tatsächlich und für sie erkennbar die Möglichkeit hatten, eine ungültige Stimme abzugeben oder sich zu enthalten. (...) Zu Recht hat der Anwaltsgerichtshof es auch für unschädlich erachtet, dass die Wahlordnung der Beklagten keine “Härtefallregelung“ für Wahlberechtigte vorsieht, die keinen Computer besitzen oder – wie der Kläger meint – aufgrund ihres Alters geringere oder gar keine Computerkenntnisse haben. Wie der Anwaltsgerichtshof zutreffend angenommen hat, stellt es – jedenfalls bei den hier wahlberechtigten Mitgliedern einer Rechtsanwaltskammer – keinen Verstoß gegen die allgemeinen Wahlgrundsätze, sondern einen hinnehmbaren geringfügigen Aufwand dar, sich des Computers eines Internetcafe´s oder der technischen Hilfe einer sonstigen Privatperson zu bedienen. Dabei kann auch der Grundsatz der geheimen Wahl ohne besonderen Aufwand gewahrt werden. Überdies müssen Rechtsanwälte nach der – verfassungsrechtlich unbedenklichen (vgl. BGH, Urt. v. 22.3.2021 – AnwZ (Brfg) 2/ 20, BGHZ 229, 172 Rn. 99 mwN; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.12.2017 – 1 BvR 2233/17, juris Rn. 10) – Regelung in § 31a Abs. 6 BRAO ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach unterhalten, so dass auch davon ausgegangen werden kann, dass sie mit der erforderlichen EDV ausgestattet und hinreichend vertraut sind. (...) Der Kläger hat u.a. gerügt, dass die Wahlordnung keine Sicherheitshinweise an die Wahlberechtigten zur Löschung und Vermeidung privater Browser-Dateien vorschreibe, und behauptet, jedenfalls er habe tatsächlich auch keine solchen Hinweise erhalten. (...) Ob aus dem Fehlen eines solchen Hinweises – wie der Kläger meint – aber auch ein Wahlfehler wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der geheimen Wahl folgt, oder ob die übrigen, in § 12 Nr. 6, § 13 Nr. 3 bis 5, § 14 Nr. 2, §§ 15, 16 Nr. 3 der Wahlordnung der Beklagten vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen und -hinweise insoweit als ausreichend anzusehen waren, bedarf indes vorliegend im Ergebnis keiner Entscheidung (...) (jki) BVerfG: Beratungshilfe darf nicht ohne weiteres als mutwillig abgelehnt werden- BVerfG (Beschl. v. 4.4.2022, Az. 1 BvR 1370/21) Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ablehnung von Beratungshilfe für ein sozialrechtliches Widerspruchsverfahren. Der Beschwerdeführer bezog Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Mittels Leistungsbescheides wurde die Leistungsbewilligung des Beschwerdeführers für den Zeitraum Juli bis Dezember 2020 endgültig festgesetzt und dabei über einen Zeitraum von sechs Monaten ein aus einer Betriebskostenabrechnung für das Jahr 2019 hervorgehendes Guthaben angerechnet. Der Beschwerdeführer beantragte beim AG die Bewilligung von Beratungshilfe, weil er gegen diesen Bescheid vorgehen wollte. Er zweifelte an der Richtigkeit des Bescheides und wollte für die Gestaltung des Widerspruchs anwaltliche Hilfe in Anspruch nehmen. Er nannte der Rechtspflegerin einige Punkte, aufgrund derer der Bescheid nicht richtig sein könnte; unter anderem die Verrechnung des Betriebskostenguthabens. Die Rechtspflegerin des AG wies den Antrag wegen Mutwilligkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Beratungshilfegesetz zurück. Die Berechnung der Leistungen bzw. der Erstattungsbeträge seien einfach gelagerte Sachverhalte. Ein eventueller Widerspruch sei ohne anwaltliche Hilfe zu fertigen. Dem Beschwerdeführer gehe es um die pauschale Überprüfung von Behördenbescheiden auf ihre Richtigkeit. Es lägen keine Anzeichen für eine konkrete Rechtsbeeinträchtigung vor. Der Beschwerdeführer legte Erinnerung ein; die Rechtspflegerin des AG half der Erinnerung nicht ab. Die Erinnerung wurde mit richterlichem Beschluss abgewiesen. Die vom Beschwerdeführer verfolgte Rechtsverfolgung sei mutwillig. Der Beschwerdeführer wünsche Beratungshilfe, um Leistungsbescheide des Jobcenters (...) pauschal auf ihre Richtigkeit überprüfen zu lassen. Er sei der Ansicht, dass es in den Bescheiden zu Fehlern gekommen sei, könne aber nicht konkret darlegen, um welche Fehler es sich handele. Auch habe er nicht vorgetragen, dass er sich selbst schriftlich oder durch Vorsprache beim Jobcenter um eine Aufklärung des Sachverhalts bemüht habe. Die Richter am Bundesverfassungsgericht sahen die zulässige Verfassungsbeschwerde als offensichtlich begründet an. Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts verletzen den Beschwerdeführer in seinem Anspruch auf Rechtswahrnehmungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 und 3 GG). Das Grundgesetz verbürgt in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und 3 GG die Rechtswahrnehmungsgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten bei der Durchsetzung ihrer Rechte auch im außergerichtlichen Bereich, somit auch im Hinblick auf die Beratungshilfe nach dem Beratungshilfegesetz (vgl. BVerfGE 122, 39 (48 ff.)). Dabei brauchen Unbemittelte nur solchen Bemittelten gleichgestellt zu werden, die bei ihrer Entscheidung für die Inanspruchnahme von Rechtsrat auch die hierdurch entstehenden Kosten berücksichtigen und vernünftig abwägen (vgl. Rechtsprechungsübersicht 60 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0