Kammermitteilungen 2/2021

Berufsrechtliche Rechtsprechung BGH zur Befreiung von der Verschwiegenheitspflicht Der BGH hat sich in einer Entscheidung vom 27.1.2021 zur Befreiung von der Verschwiegenheits- pflicht von Berufsgeheimnisträgern, konkret eines Wirtschaftsprüfers, geäußert. Danach gilt: Grundsätzlich sind diejenigen Personen dazu befugt, einen Berufsgeheimnisträger von seiner Verschwiegen- heitspflicht zu entbinden, die zu jenem in einer ge- schützten Vertrauensbeziehung stehen. Hierunter fallen im Rahmen eines Mandatsverhältnisses mit einem Wirtschaftsprüfer regelmäßig nur der oder die Auftrag- geber. Für eine juristische Person können diejenigen die Entbindungserklärung abgeben, die zu ihrer Vertre- tung zum Zeitpunkt der Zeugenaussage berufen sind. Ist über das Vermögen der juristischen Person das In- solvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter bestellt worden, ist dieser berechtigt, soweit das Ver- trauensverhältnis Angelegenheiten der Insolvenzmasse betrifft (Leitsätze, BGH, Beschluss vom 27. Januar 2021 – StB 44/20). Im konkreten Fall ergibt sich, dass Wirtschaftsprüfer im Untersuchungsausschuss zum Wirecard-Bilanz- skandal befragt werden können, da eine wirksame Be- freiung von der Verschwiegenheitsverpflichtung vor- liegt. Eine nähere allgemeine gesetzliche Regelung dazu, wer berechtigt ist, im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 StPO von der Verpflichtung zur Verschwiegenheit zu entbinden, fehlt (vgl. indes für Notare § 18 Abs. 2 BNotO). Nach der Gesetzessystematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift kann von einer Pflicht derjenige befreien, dem gegenüber diese besteht. Ist einem Wirtschaftsprüfer im Rahmen eines bestehen- den Auftragsverhältnisses etwas anvertraut oder be- kannt geworden, steht es dem Auftraggeber oder den Auftraggebern zu, über eine Entbindung von der Schweigepflicht zu entscheiden; denn die allgemeine berufsrechtliche Pflicht zur Verschwiegenheit gemäß § 43 Abs. 1 Satz 1 WPO schützt regelmäßig nur den Auftraggeber (vgl. BGH, Urteil vom 16. Februar 2016 – VI ZR 441/14, WM 2016, 508 Rn. 25 mwN). Etwas Anderes kommt in spezifisch gelagerten Sonderkons- tellationen in Betracht, in denen der Dritte seinerseits in einer individuellen Vertrauensbeziehung zu dem Be- rufsgeheimnisträger steht (s. BGH, Urteil vom 30. No- vember 1989 – III ZR 112/88, aaO S. 272; zu „Doppel- mandaten“ OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 – III-4 Ws 9/18, ZInsO 2018, 1152, 1156 f.; Mey- er-Goßner/Schmitt, StPO, 63. Aufl., § 53 Rn. 46c). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist eine juristische Person selbst berechtigt, über die Schweigepflicht von Berufsgeheimnisträgern zu entscheiden, die sie allein beauftragt hat. Da eine juristische Person indes nicht unmittelbar handlungsfähig ist, können die Erklärung nur die für sie handelnden natürlichen Personen abge- ben. Soweit für sie innerhalb des berufsbezogenen Vertrau- ensverhältnisses natürliche Personen tätig geworden sind, bedarf es deren Entbindungserklärung grundsätz- lich nicht. Allein dadurch, dass sie für die juristische Person handelten, haben sie noch kein eigenes ge- schütztes Vertrauensverhältnis zu dem Berufsgeheim- nisträger aufgebaut. Hierbei ist insbesondere zu be- rücksichtigen, dass die Interessen der juristischen Per- son einerseits und der für diese handelnden natürlichen Person andererseits auseinanderfallen können. Eine juristische Person wird bei der Erklärung über eine Entbindung von der Verschwiegenheitspflicht durch die zu diesem Zeitpunkt entscheidungsbefugten Organe vertreten (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Februar 2018 – III-4 Ws 9/18, m.w.N.). Ist über das Vermögen der juristischen Person das In- solvenzverfahren eröffnet und ein Insolvenzverwalter ernannt worden, ist dieser berechtigt, den Berufsge- heimnisträger von der Verschwiegenheitspflicht zu ent- binden, soweit sich das Vertrauensverhältnis auf Ange- legenheiten der Insolvenzmasse bezieht. Die Disposi- tionsbefugnis des Geheimnisherrn geht insoweit gemäß § 80 Abs. 1 InsO auf den Verwalter über (vgl. BGH, Beschluss vom 18. Juni 2018 – AnwZ (Brfg) 61/17, NJW-RR 2018, 1328 Rn. 7, m.w.N.). Mithin kommt es nicht entscheidend darauf an, ob der Zeuge in einem Straf- oder Zivilverfahren – oder einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss – aussagen soll, sondern auf den Gegenstand des betroffenen Ver- trauensverhältnisses und eine Bedeutung für die Insol- venzmasse (vgl. Henssler, AnwBl 2019, 216, 219 f.; RG, Beschluss vom 15. Oktober 1904 – I 118/04 aaO S. 87). Einer zusätzlichen Entbindungserklärung durch frühere oder gegenwärtige Organe bedarf es aufgrund der bereits ausgeführten Erwägungen im Normalfall nicht. Die vollständige Entscheidung vom 27.1.2021, die be- treffend einen Wirtschaftsprüfer im Kontext des Unter- suchungsausschuss (UA) zum Wirecard-Bilanzskandal ergangen ist, ist abrufbar in der Entscheidungsdaten- bank des BGH unter www.bundesgerichtshof.de . (jki) KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 2/2021 37

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0