Kammermitteilungen 3/2022

Aus dem Inhalt www.rak-dus.de Informationen und offizielle Verlautbarungen 18. Jahrgang · Nr. 3 30.9.2022 · S. 43–68 Das aktuelle Thema 45 Stadt, Land, Fluss ... weshalb sinkende Anwaltszahlen nicht nur ein Problem für die Fläche sind (Von RAin Sabine Fuhrmann) Berichte und Bekanntmachungen 47 Achtung Fristsache – Zulassungspflicht der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung 47 Schiedsgutachter gesucht! 47 Besondere Leistungen im Rahmen der Ausbildung der Rechtsanwaltsfachangestellten – Ausbilderehrung 48 Beschlüsse der 3. Sitzung der 7. Satzungsversammlung vom 29./30.4.2022 Die Kammer rät 55 Große BRAO-Reform – Neuigkeiten auch für Syndikusrechtsanwälte (Von RAin Julia Kindler) Berufsrechtliche Rechtsprechung 57 Übermittlung per Fax wahrt keine Frist mehr – OLG Frankfurt/Main (Beschl. v. 27.7.2022, Az. 26 W 4/22) 57 Auch in eigener Sache: Anwälte müssen elektronisch kommunizieren – VG Berlin (Beschl. v. 5.5.2022, Az. 12 L 25/22) 58 BGH: Wahl zur Satzungsversammlung im Kammerbezirk München gültig – BGH (Urt. v. 30.5.2022, Az. AnwZ (Brfg) 47/21)

Fachmedien Otto Schmidt KG Neumannstraße 10 | 40235 Düsseldorf | Fon: 0800 000-1637 Fax: 0800 000-2959 | eMail: kundenservice@fachmedien.de Die Kompetenz imWettbewerbsrecht Das Must-have für alle Kartellrechtsprofis Wissenschaftlich und praxisorientiert ausgerichtet bereitet WIRTSCHAFT und WETTBEWERB aktuelle Entwicklungen der Kartellrechtspraxis rund um die Themen Kartellverbot, Fusionskontrolle, Kartellschadensersatz, Marktbeherrschung, Missbrauchsaufsicht und Bußgeldverfahren auf. Erstrangige Sachkenner in Autorenschaft, Fachbeirat und Herausgeberschaft garantieren ein hohes Niveau der Beiträge und machen WuW zu einem führenden Diskussionsforum kartellrechtlicher Fragestellungen. Bestellen Sie jetzt hier Ihr Gratis-Paket (2 Hefte + Online-Portal): https://fmos.link/gratispaketwuw Wettbewerb braucht Recht. | Recht braucht Stärke. Seite 121 – 180 4. März 2022 72. Jahrgang 3 KOMMENTAR Philip Marsden Unlocking Your Phone to Digital Competition 121 ABHANDLUNGEN Thomas Ackermann Grenzen der Sportverbandsautonomie nach der Wouters-Doktrin 122 Marcel Scholz Regulierung nach § 19a GWB – Dogmatische Erwägungen zur Beweislastumkehr des § 19a Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB 128 Matthias Heider/Konstantin Kutscher Die 10. GWB-Novelle und die Missbrauchsaufsicht digitaler Plattformunternehmen 134 INTERNATIONAL DEVELOPMENTS Developments in National Competition Laws (October 1, 2021 – December 31, 2 ENTSCHEIDUNGEN EuG: Intel-Saga – KOM hat wettbewerbswidrige Wirkung der Rabatte nicht hinr (mit Anmerkung vonFlorian C. Haus) EuG: Unabhängigkeit der Kartellrechtsanwendung in Polen – KOM hätte genaue BGH: Nebenbetroffener fehlt – Keine Verwerfung des Einspruchs gegen Bußgeld BGH: Streit um Kabelmieten – Vereinbarte Entgelte trotz Kündigungsmöglichke OVG Berlin-Brandenburg: Faktische Untersagung durch Zeitablauf – Erste gerichtl zur Investitionsprüfung (mit Anmerkung vonJürgen Beninca/Bijan Tavakoli) LG Leipzig: Kein Schaden im Lkw-Kartell – Schwankende Marktanteile/fehlende B LG Stuttgart: Rundholzkartell – Klage der Sägewerke auf Schadensersatz scheitert a (mit Anmerkung vonThomas G. Funke) INTERVIEW Fünf Fragen an Maciej Bernatt Im Abonnement enthalten: tion 121 ch der Wouters-Doktrin 122 mkehr des § 19a Abs. 2 Satz 2 und 3 GWB 128 aufsicht digitaler Plattformunternehmen 134 aws (October 1, 2021 – December 31, 2021) 143 drige Wirkung der Rabatte nicht hinreichend nachgewiesen 148 wendung in Polen – KOM hätte genauer prüfen müssen 156 erfung des Einspruchs gegen Bußgeldbescheid 159 Entgelte trotz Kündigungsmöglichkeit angreifbar 161 ung durch Zeitablauf – Erste gerichtliche Entscheidungen vonJürgen Beninca/Bijan Tavakoli) 163 Schwankende Marktanteile/fehlende Brutto-Netto-Relation 166 gewerke auf Schadensersatz scheitert am RDG 167 INTERVIEW Fünf Fragen an Maciej Bernatt 180 Im Abonnement enthalten:

Informationen und offizielle Verlautbarungen 12. Jahrgang Nr. 4 31.12.2016 Inhaltsverzeichnis 8 3 0.9.2 22 Editorial 44 Das aktuelle Thema Stadt, Land, Fluss ... weshalb sinkende Anwaltszahlen nicht nur ein Problem für die Fläche sind (Von RAin Sabine Fuhrmann) 45 Berichte und Bekanntmachungen Achtung Fristsache – Zulassungspflicht der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung 47 Schiedsgutachter gesucht! 47 Besondere Leistungen im Rahmen der Ausbildung der Rechtsanwaltsfachangestellten – Ausbilderehrung 47 Ausbildungsvertrag online – Tool für die Erfassung Ihrer Ausbildungsverträge 47 Beschlüsse der 3. Sitzung der 7. Satzungsversammlung vom 29./30.4.2022 48 Digitalisierung nutzen! – Kieler Reformvorschläge für einen besseren Zugang zur Arbeitsgerichtsbarkeit: 84. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte und der Präsidentin des BAG vom 22. – 24.5.2022 in Kiel 48 Konvention über den Anwaltsberuf 49 93. Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 1./2.6.2022 49 EU-Justizbarometer 2022 52 Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Rechtsstaatlichkeitsjahresbericht der Europäischen Kommission 53 EU-Kommission zu Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und Europa 53 Berichte über die Tätigkeit des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Jahr 2021 (EGMR) 54 Die Kammer rät Große BRAO-Reform – Neuigkeiten auch für Syndikusrechtsanwälte 55 (Von RAin Julia Kindler) Berufsrechtliche Rechtsprechung Übermittlung per Fax wahrt keine Frist mehr – OLG Frankfurt/Main (Beschl. v. 27.7.2022, Az. 26 W 4/22) 57 Auch in eigener Sache: Anwälte müssen elektronisch kommunizieren – VG Berlin (Beschl. v. 5.5.2022, Az. 12 L 25/22) 57 Akteneinsicht vor Ort nicht unzumutbar – OVG Hamburg (Beschl. v. 21.4.2022, Az. 2 So 29/22) 58 BGH: Wahl zur Satzungsversammlung im Kammerbezirk München gültig – BGH (Urt. v. 30.5.2022, Az. AnwZ (Brfg) 47/21) 58 BVerfG: Beratungshilfe darf nicht ohne weiteres als mutwillig abgelehnt werden – BVerfG (Beschl. v. 4.4.2022, Az. 1 BvR 1370/21) 60 Veranstaltungshinweise Seminar für Erbrecht und für Familienrecht am 17.11.2022 62 Kammerveranstaltungen im 4. Quartal 2022 63 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 III

ONLINE VOR ORT – oder – 2 Tage – 15 Stunden tenberg n-fuers www.fachseminare-vo .de/15-fao • Präsenzunterricht mit persönlichem Austausch • Neue Kontakte knüpfen • Fortbildung wo Sie wollen • Keine Reisezeit 6 Blöcke à 2,5 Stunden SIE HABEN DIE WAHL: Eine kostenfreie Stornierung ist bis 4 Wochen vor Beginn der Veranstaltung möglich. Erbrecht · Handels- & Gesellschaftsrecht · Insolvenzrecht · Steuerrecht Der Countdown läuft §15 FAO Inhaltsverzeichnis IV KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 Impressum KammerMitteilungen Informationen und offzielle Verlautbarungen der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf. Herausgeber: Rechtsanwaltskammer Düsseldorf (Freiligrathstr. 25, 40479 Düsseldorf, Tel. 0211-495020, Telefax 0211-4950228, E-Mail: info@ rak-dus.de, Internet: www.rak-dus.de Schriftleitung: Rechtsanwältin Julia Kindler, Geschäftsführerin der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf (Adresse wie oben). Verlag: Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln, Tel. 0221-93738-997 (Vertrieb/Abonnementsverwaltung), Telefax 0221-93738-943 (Vertrieb/Abonnementsverwaltung), E-Mail: info@ottoschmidt.de. Konten: Sparkasse KölnBonn IBAN DE87 3705 0198 0030 6021 55; Postbank Köln IBAN DE40 3701 0050 0053 9505 08. Erscheinungsweise: vierteljährlich Bezugspreise: Den Mitgliedern der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf werden die KammerMitteilungen im Rahmen der Mitgliedschaft ohne Erhebung einer besonderen Bezugsgebühr zugestellt. Anzeigenverkauf: sales friendly Verlagsdienstleistungen, Pfaffenweg 15, 53227 Bonn; Telefon 0228-97898-0; Fax 0228-97898-20; E-Mail: media@ sales-friendly.de. Gültig ist die Preisliste Nr. 17 vom 1.1.2021. Urheber- und Verlagsrechte: Die Zeitschrift sowie alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Das gilt auch für Entscheidungen und deren Leitsätze, wenn und soweit sie redaktionell bearbeitet oder redigiert worden sind. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherungen und Verarbeitungen in elektronischen Systemen. ISSN 1614-8843

Hamburg, 1. Juni 2022 Erfolgreiches Ergebnis der Weihnachtsspendenaktion und Hochwasserhilfe 2021 Sehr geehrte Frau Kollegin, sehr geehrter Herr Kollege, für die eingegangenen Spenden im Jahr 2021 danke ich allen Spenderinnen und Spendern sehr herzlich. Aufgrund der großen Resonanz konnten wir bundesweit einen Spendeneingang in Höhe von 224.700,85 Euro verzeichnen. Dieses Ergebnis ermöglichte es uns, in allen Kammerbezirken sowohl bedürftige Erwachsene DOV DXFK GHUHQ .LQGHU PLW MHZHLOV ¼ ]X XQWHUVWW]HQ So konnten wir z. B. die 14-jährige Tochter einer Rechtsanwältin unterstützen, die bereits mit 54 Jahren an Krebs verstarb. Im vergangenen Jahr zahlten wir zudem an vom Hochwasser geschädigte Kanzleien in NordrheinWestfalen und Rheinland-Pfalz insgesamt 34.000 Euro aus. Zum Teil standen ganze Büros unter Wasser, in einem Fall war das gesamte Haus von den Fluten zerstört worden. Die einzelnen Kanzleien wurden uns von der Bundesrechtsanwaltskammer und dem Deutschen Anwaltverein genannt. Wenn Ihnen im Kollegenkreis ein Notfall bekannt sein sollte oder Sie selbst betroffen sind, wenden Sie sich gern an uns. Wir können auch im Laufe des Jahres, nicht nur zur Weihnachtszeit, unbürokratisch behilflich sein, z. B. mit Zuschüssen zu Krankheitskosten und nach wie vor auch im Rahmen der Hochwasserhilfe. Mit herzlichen und kollegialen Grüßen Ihr Bernd-Ludwig Holle Hülfskasse Deutscher Rechtsanwälte Vorstandsvorsitzender Kontakt: info@huelfskasse.de www.huelfskasse.de . Tel. (040) 36 50 79 Fax (040) 37 46 45 Steintwietenhof 2 20459 Hamburg

Editorial Anwaltschaft im Wandel Leonora Holling Liebe Kolleginnen und Kollegen, mitten in den Sommerferien NRW, nämlich zum 1.8.2022, startete ein weiterer Teil der großen BRAO-Reform, der nicht zu unterschätzende Änderungen im anwaltlichen Berufsrecht mit sich bringt. Das Institut der Berufsausübungsgesellschaften ermöglicht nunmehr der Anwaltschaft nicht nur den erweiterten Zusammenschluss mit anderen freien Berufen, sondern erweitert auch die Zulassungspflichten. Außer den traditionellen Sozietäten müssen sich jetzt alle Zusammenschlüsse anwaltlicher Berufsausübung bei der örtlich zuständigen Rechtsanwaltskammer zulassen. Hinzu kommt die Möglichkeit, dass sich auch nach internationalem Recht anzuerkennende Rechtsdienstleister auf dem deutschen Rechtsdienstleistungsmarkt zulassen können. Als Ihre örtliche Kammer verzeichnen wir deshalb das erwartbare erhöhte Aufkommen an Zulassungsanträgen, vorwiegend aus dem Bereich der schon bei uns zuvor erfassten Anwaltskanzleien aus dem Bezirk. Mit der erweiterten Zulassungspflicht wurde durch den Gesetzgeber für alle Formen der beruflichen Zusammenarbeit von Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten eine Änderung der Vermögensschadenhaftpflichtversicherung konstatiert. Sollten Sie daher unsicher sein, ob Sie diesbezüglich Änderungen in Ihrer Versicherung jetzt noch vornehmen müssen, sprechen Sie uns als Ihre Kammer gerne an. Zudem hat der Austausch der beA-Karten in den letzten Wochen zu verständlichem Ärger im Kammerbezirk geführt. Uns wurde von fehlenden neuen Karten genauso berichtet wie der Unmöglichkeit, diese freischalten zu lassen oder die Signaturfunktion zu installieren. Wir haben uns umgehend diesbezüglich an die BRAK gewandt. Aufgrund unserer Initiative wurde dieses Thema in der BRAK-Hauptversammlung am 9.9.2022 ausführlich thematisiert. Wir werden weiterhin, das darf ich Ihnen versichern, hier auf eine schnelle und praktikable Lösung drängen, um Nachteile für unsere Kammermitglieder zu vermeiden. Es kann nicht angehen, dass wir als Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte auf die Benutzung des beA verpflichtet werden, ohne dass uns der erforderliche Instrumentenkasten zur Umsetzung dieser Pflicht zur Verfügung steht! Auch die Ankündigung des bayerischen Justizministers zu einem Pilotprojekt mit der Universität Regensburg zur Erprobung des sog. strukturierten Parteivortrages beobachten wir als Vorstand Ihrer Kammer aufmerksam. Wir werden diesen begleiten, um die etwaigen Vorteile und Nachteile für die Anwaltschaft genau zu beleuchten. Diesbezüglich haben wir die BRAK für diese Frage bereits sensibilisiert und werden Sie diesbezüglich auf dem Laufenden halten. Die steigenden Energiekosten sind nicht nur für die Allgemeinheit, sondern auch für die Rechtsanwaltskanzleien ein drückendes Thema. Hier wird zu überlegen sein, inwieweit wir als Kammer aktiv werden können, diese Kostensteigerungen in den Vorschriften des Vergütungsrechtes zumindest mittelfristig durch den Gesetzgeber abgebildet zu erhalten. Gerne empfehle ich Ihnen die weiteren spannenden Themen in unserer heutigen Ausgabe der KammerMitteilungen und verbleibe mit herzlichen, kollegialen Grüßen Ihre Leonora Holling Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf 44 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022

Das aktuelle Thema Stadt, Land, Fluss ... weshalb sinkende Anwaltszahlen nicht nur ein Problem für die Fläche sind Von Rechtsanwältin Sabine Fuhrmann, Präsidentin der Rechtsanwaltskammer Sachsen Es gibt Trends, die sind sehr kurzlebig. Drei Monate 9Euro-Ticket und die damit verbundene Mobilität, das war ein sehr positiver Trend, den wir im Sommer 2022 gemeinsam erleben durften. Und dann gibt es Trends, die nicht gleichzeitig und nicht überall zu Tage treten – und vor denen gleichwohl nicht die Augen verschlossen werden sollten. Die aktuelle Entwicklung der Anwaltszahlen gehört zu den letztgenannten, denn die Anwaltszahlen in den regionalen Rechtsanwaltskammern entwickeln sich unterschiedlich, jedenfalls noch. Was haben die Rechtsanwaltskammer Sachsen, eine Flächenkammer, die ein ganzes Bundesland umfasst, und die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf also gemeinsam? Eine Online-Umfrage der BRAK zum Beginn des Jahres 2022 in den Neuen Bundesländern befasste sich mit den Entwicklungen der Anwaltszahlen in der Fläche, außerhalb der Ballungszentren und mit großem räumlichen Abstand zu den Fakultätsstandorten und Referendarausbildungsstellen. Das Ergebnis war ernüchternd und wie befürchtet. Wo in Ballungszentren und den Großstädten der Kampf um die Talente und Fachkräfte entbrannt ist, gibt es in der Fläche kaum noch jemanden, mit dem man überhaupt kämpfen könnte. Ist die Anwaltschaft in der Fläche vom Aussterben bedroht? In Kammerbezirken, die jährlich (!) mehr als 10% ihrer Mitglieder verlieren, wohl ja. Ist dies nur ein Problem der Fläche, nicht aber der Städte? Man muss wohl sagen: noch. Denn es ist zu befürchten, dass die sinkenden Anwaltszahlen auch in den Ballungszentren ankommen werden – wenn auch mit einer zeitlichen Verzögerung. Die Zahl der zugelassenen Syndikusrechtsanwältinnen und Syndikusrechtsanwälte wächst in den vergangenen Jahren und auch aktuell sehr stetig. Ohne diesen Zuwachs würden die Anwaltszahlen bundesweit einen sinkenden Trend zeigen. Die Gründe hierfür sind vielschichtig: demografischer Wandel, Fachkräftemangel, anhaltende Kritik an der juristischen Ausbildung etc. Die Umfrage der BRAK befasste sich auch mit der Referendarausbildung und der Frage insgesamt, wie sich die Anwaltschaft um ihren eigenen Nachwuchs bemüht. Denn die demografische Entwicklung der Anwaltschaft zeigt ein überregionales Problem auf: Das Durchschnittsalter der Anwaltschaft steigt, die BabyBoomer-Generation verabschiedet sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren in den wohlverdienten Ruhestand. Der Nachwuchs fehlt allerorten – und das Berufsbild der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts war schon lange nicht mehr so unattraktiv wie heute. Die Politik sieht Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte als „professional enablers“ für Geldwäsche und andere Straftaten, in der Presseberichterstattung z.B. im Rahmen von Strafverfahren werden Verteidigerinnen und Verteidiger als diejenigen dargestellt, die nicht etwa für die Einhaltung der Verfahrensgrundsätze stehen, sondern das Laufenlassen von Schuldigen ermöglichen. Das, was den freien Beruf der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts ausmacht, nämlich die Stellung als Organ der Rechtspflege, spielt dabei keine bis nur eine untergeordnete Rolle. Für Assessorinnen und Assessoren ist die Zulassung zur Anwaltschaft nicht mehr erklärtes lebensprägendes Berufsziel – also kein „Ankommen“, sondern sie verkommt immer mehr zu einer Durchlaufstation – einer Verlegenheitslösung. Im Freistaat Sachsen haben wir in den vergangenen Jahren den Trend festgestellt, dass die Verweildauer in der Anwaltschaft von Kolleginnen und Kollegen, die nach erfolgreich absolviertem Referendariat und Assessorexamen zur Anwaltschaft zugelassen werden, immer kürzer wird. Für den Kammerbezirk Sachsen haben wir diese Verweildauer analysiert und festgestellt, dass die Kolleginnen und Kollegen immer früher freiwillig auf die Zulassung verzichten und das zu einem Zeitpunkt in der persönlichen Erwerbsbiografie, in dem sie die praktischen Erfahrungen in den ersten Berufsjahren gerade gemacht haben, im Kanzleialltag und im Beruf der Rechtsanwältin und des Rechtsanwalts angekommen sein sollten. An diesem so wichtigen Punkt, an dem die Berufserfahrung einsetzt. Leider ist dabei festzustellen, dass insbesondere viele Kolleginnen in dieser Phase des Berufslebens auf ihre Zulassung verzichten. Der Weg wird eingeschlagen in Richtung Gerichte und Verwaltung, Rechtsabteilungen und Unternehmen – oder in ganz andere Gefilde. Sicherlich sind die Gründe hierfür individuell und vielschichtig, doch es bleibt dabei, dass der juristische Nachwuchs, der ohnehin kaum die durch den demografischen Wandel entstehenden Lücken schließen kann, aus der Anwaltschaft verschwindet und zwar ohne Aussicht auf schnelle Rückkehr. Die vielbeschriebene Generation Z, die mit Hashtags wie #newwork die Work-Life-Balance neu definieren möchte, stellt sicherlich andere Anforderungen an den Arbeitsalltag, an Arbeitszeitmodelle und Vergütungsstrukturen als man es von bisherigen Strukturen im anKammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 45

Jetzt bestellen: otto-schmidt.de Intelligente Kraftquelle: Rechtsstand 1.4.22 waltlichen Arbeitsmarkt kennt. Doch der Beruf der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts ist aus meiner Sicht prädestiniert dafür, diesen Anforderungen zu genügen. Schließlich ist es ja gerade ein Freier Beruf! Die Herausforderung der nächsten Jahre für die Anwaltschaft wird deshalb sein, den juristischen Nachwuchs davon zu überzeugen, dass im Vergleich zu Verwaltung und Justiz oder der Tätigkeit im Unternehmen die Tätigkeit als Rechtsanwältin und Rechtsanwalt den absoluten Vorzug verdient. Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und die in der Pandemiezeit zur Blüte gefundene Möglichkeit der Videoverhandlung nach § 121a ZPO und den korrespondierenden Verfahrensordnungen hat der Anwaltschaft einen längst überfälligen Digitalisierungsschub verschafft. Die damit gewonnene zeitliche und örtliche Flexibilität gilt es zu nutzen und durch weitere Maßnahmen auszubauen. Sinkende Anwaltszahlen gehen nicht zwingend mit einer zurückgehenden Nachfrage durch Mandantinnen und Mandanten einher, im Gegenteil, die Nachfrage konzentriert sich auf immer weniger Kolleginnen und Kollegen. Somit könnten auch die Bedingungen für die Gründung einer eigenen Kanzlei und damit der Eintritt in die selbständige, freiberufliche Tätigkeit nicht besser sein. Doch auch hier zeigt der Trend: die Gründungszahlen gehen zurück. Die hohe Anzahl an offenen Stellen verführt dazu, sich nicht in das Wagnis Selbständigkeit zu stürzen, sondern die planbare und vermeintlich sicherer Position als Arbeitnehmerin oder Arbeitnehmer zu wählen. Gerade hier wird viel Potenzial des Freien Berufs und der Flexibilität vergeben. Die Förderung des juristischen Nachwuchses sollte deshalb für jede Rechtsanwältin und jeden Rechtsanwalt selbstverständlich sein. Selbst Schülerinnen und Schülern sollten so frühzeitig wie möglich authentische Einblicke in den Berufsalltag geschaffen werden. Dabei ist auch die Bedeutung von Schülerpraktika nicht zu unterschätzen: Diese ersten Praxiseinblicke von Schülerinnen und Schülern sind für die weitere Berufswahl sehr prägend. Je engagierter Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte diese Praxiseinblicke unterstützen, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine juristische Ausbildung oder ein juristischer Studiengang eingeschlagen wird. Und gerade in dieser Phase sehe ich einen wesentlichen Vorsprung von Einzelkanzleien oder kleineren Einheiten gegenüber überregionalen Einheiten oder sogar Großkanzleien. Ja, es kostet Zeit, es kostet Kraft und am Ende des Tages auch Geld – aber es ist eine Investition in die juristische Nachfolge. Und vielleicht wird aus dem Praktikanten von damals der Referendar von heute und der Kanzleinachfolger von morgen. Ein weiterer wichtiger Schlüsselfaktor für die Zukunft der Anwaltschaft ist die Diversität. Die Arbeitsbedingungen und Einnahmen von Männern und Frauen gleichen sich weiterhin an, doch unser Blick sollte über das Gender-Thema hinaus gehen: Die Anwaltschaft muss diverser werden, um auch in Zukunft bestehen zu können. Und das beginnt nicht erst mit dem Eintritt in den Beruf und den Kanzleialltag. Schon während der Schulzeit sollten gezielt auch Arbeiterkinder, Migrantinnen und Migranten und auch andere diverse Gruppen angesprochen werden. Denn so divers wie die Mandantinnen und Mandanten sein können, so divers soll auch die Anwaltschaft sein. Darin besteht ein großes Potenzial, das es gemeinsam zu schöpfen gilt. Das aktuelle Thema 46 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022

Berichte und Bekanntmachungen Achtung Fristsache – Zulassungspflicht der Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung Berufsausübungsgesellschaften, die am 1.8.2022 schon bestanden und nach der Neuregelung des § 59f BRAO nunmehr zulassungspflichtig sind, müssen diese Zulassung bis zum 1.11.2022 beantragen. Hierzu gehören insbesondere die Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung. Sofern die Gesellschaft bis zu diesem Zeitpunkt keine Zulassung beantragt hat, darf sie als solche keine Rechtsdienstleistungen mehr erbringen. Zulassungsanträge finden Sie auf der Internetseite der RAK unter https://www.rak-dus.de/fuer-mitglieder/zul assung/ (js) Schiedsgutachter gesucht! Die Rechtsanwaltskammer Düsseldorf wird regelmäßig von verschiedenen Versicherungen in Schiedsgutachterverfahren gemäß § 18 ARB um Benennung einer Schiedsgutachterin/eines Schiedsgutachters gebeten und ist daher regelmäßig auf der Suche nach Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälten, die bereit sind, auf Anfrage entsprechende Schiedsgutachten zu erstellen (vorzugsweise Fachanwältinnen/-anwälte für Versicherungsrecht). Bei Interesse wenden Sie sich bitte an Rechtsanwalt Thiemo Jeck Tel.: 0211/49502-20 E-Mail: t.jeck@rak-dus.de (jki) Besondere Leistungen im Rahmen der Ausbildung der Rechtsanwaltsfachangestellten – Ausbilderehrung Im Bezirk der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf haben im Sommer 2022 acht Auszubildende ihre Ausbildung zur Rechtsanwaltsfachangestellten mit der Bestnote „sehr gut“ abschließen können. Die Rechtsanwaltskammer hat erstmals auch die Ausbilderinnen und Ausbilder geehrt. Den jeweils ausbildenden Kolleginnen und Kollegen wurde jeweils eine Urkunde zur Anerkennung ihrer besonderen Leistungen im Rahmen der Ausbildung und damit bei der Bekämpfung des Fachkräftemangels übermittelt. Es wird beabsichtigt, künftig jeweils die Ausbilderinnen und Ausbilder der Jahrgangsbesten entsprechend mit einer Urkunde zu ehren. (jki) Ausbildungsvertrag online – Tool für die Erfassung Ihrer Ausbildungsverträge Seit Mitte November 2021 steht auf der Internetseite der Rechtsanwaltskammer unter https://www.rak-dus. de/karriere/ra-fachangestellte/ausbildungsvertraege-fo rmulare/ ein neuer Service zur Verfügung: Mit dem „Ausbildungsvertrag online“ können der Ausbildungsvertrag sowie der Antrag auf Eintragung des Auszubildenden in das Ausbildungsverzeichnis am PC bequem ausgefüllt und unmittelbar ausgedruckt werden. Bitte beachten Sie, dass ab dem1.1.2023 alle Ausbildungsverträge auf diesem Wege zu melden sind. Besonderer Vorteil dieses online basierten Verfahrens ist, dass die Anwendung Sie beim vollständigen und korrekten Ausfüllen der Vertragsdaten unterstützt. Sie können bei der Dateneingabe zwischenspeichern und den Ausbildungsvertrag inklusive dem Antrag auf Eintragung zu einem späteren Zeitpunkt weiter vervollständigen. Nach der Eingabe aller notwendigen Informationen können Sie den Ausbildungsvertrag und den Antrag auf Eintragung als PDF ausdrucken. Unterschrieben und um Anlagen ergänzt, reichen Sie den Vertrag und den Antrag auf Eintragung bei der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf vorzugsweise über beA oder per E-Mail KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 47

ein. Die von Ihnen erfassten Daten werden verschlüsselt und anschließend elektronisch an die Kammer übermittelt, so dass die Eintragung des zugesandten Ausbildungsvertrages zügiger erfolgen kann. Hierfür ist eine einmalige Registrierung vorgesehen. Bei Fragen zur Nutzung dieses Tools wenden Sie sich bitte an die Ausbildungsabteilung der Rechtsanwaltskammer: Regina Heiduk Durchwahl: 0211/49 502 31 r.heiduk@rak-dus.de Nicole Rößel Durchwahl: 0211/49 502 12 n.roessel@rak-dus.de (jki) Beschlüsse der 3. Sitzung der 7. Satzungsversammlung vom 29./30.4.2022 Der Bundesminister der Justiz, Dr. Marco Buschmann, hat mit Schreiben vom 21.7.2022 mitgeteilt, dass keine Bedenken hinsichtlich der Beschlüsse der 3. Sitzung der 7. Satzungsversammlung vom 29./30.4.2022 bezogen auf die Änderung der BORA bestehen. Die Beschlüsse werden am 1.10.2022, und -aus organisatorischen Gründen- nicht, wie von der Satzungsversammlung ursprünglich vorgesehen, bereits mit der Großen BRAO-Reform am 1.8.2022 in Kraft treten und betreffen folgende Änderungen: § 4 Abs. 1 BORA wird aufgehoben. Die bisherigen Absätze 2 und 3 des § 4 BORA werden dessen Absätze 1 und 2. Hierdurch wird klargestellt, dass Anwälte nicht verpflichtet sind, „auf Vorrat“ ein Sammelanderkonto vorzuhalten. Es wird ein neuer § 5a BORA eingefügt. Hiernach werden die erforderlichen Kenntnisse, die die ab dem 1.8.2022 erstmals zugelassenen Kolleginnen und Kollegen gem. § 43f BRAO im Berufsrecht vorweisen müssen, konkretisiert: Die Kenntnisse im rechtsanwaltlichen Berufsrecht gemäß § 43f BRAO müssen durch die Teilnahme an einer Lehrveranstaltung mit insgesamt mindestens 10 Zeitstunden nachgewiesen werden, die folgende Themen umfassen soll: 1. Organisation des Berufs als freier Beruf sowie der Rechtsanwaltskammern als Selbstverwaltungsorgane einschließlich der Berufsaufsicht und berufsrechtlicher Sanktionen, 2. allgemeine Berufspflicht und Grundpflicht nach §§ 43, 43a BRAO, §§ 2 – 5a BORA, 3. Überblick über die besonderen Berufspflichten nach den §§ 43b ff. BRAO, §§ 6 – 33 BORA, 4. berufsrechtliche Bezüge zum anwaltlichen Haftungsrecht. Weitere Änderungen sind lediglich redaktioneller Art, die der Großen BRAO-Reform geschuldet sind: in § 8 BORA werden die Worte „in Sozietät“ ersetzt durch „in einer Berufsausübungsgesellschaft“. Der Verweis auf § 49a BRAO wird ersetzt durch den Verweis auf § 49c BRAO. § 30 wird, ebenso wie § 33 Abs. 1 BORA, aufgehoben. In § 32 wird das Wort „Sozietät“ ersetzt durch „Berufsausübungsgesellschaft“ und die Worte „Sozien“ bzw. „Sozius“ werden ersetzt durch „Gesellschafter“. (jki) Digitalisierung nutzen! – Kieler Reformvorschläge für einen besseren Zugang zur Arbeitsgerichtsbarkeit: 84. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte und der Präsidentin des BAG vom 22. – 24.5.2022 in Kiel Auf der 84. Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Landesarbeitsgerichte und der Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts vom 22. – 24.5.2022 in Kiel, an der auch Vertreterinnen und Vertreter des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales teilnahmen, wurde ein 40-seitiges Diskussionspapier zur Digitalisierung verabschiedet. Es wurden Reformvorschläge entwickelt, speziell ausgerichtet an den Bedürfnissen der Arbeitsgerichtsbarkeit. Dieses Diskussionspapier „Digitalisierung nutzen! – Kieler Reformvorschläge für einen besseren Zugang zur Arbeitsgerichtsbarkeit“ enthält erste Ansätze für eine Modernisierung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens: ) Ein nutzerfreundliches Justizportal einzurichten, das u.a. eine digitale Klagerhebung ermöglicht, VideoRechtsantragstellen vorsieht, ein echtes OnlineMahnverfahren eröffnet und die Teilnahme an einer Videoverhandlung ermöglicht, ) die Videoverhandlung als ergänzendes Verhandlungsangebot auszubauen, Berichte und Bekanntmachungen 48 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022

) die technischen Möglichkeiten im Prozesskostenhilfeverfahren vor allem bei der Prüfung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu nutzen sowie ) das arbeitsgerichtliche Verfahrensrecht anzupassen. Das vollständige Diskussionspapier finden Sie unter https://www.lag-hamm.nrw.de/behoerde/presse/20220 524_Bericht_Digitalisierung-84_-PK-Kiel.pdf. (jki) Konvention über den Anwaltsberuf Die BRAK wurde Anfang Juli 2022 durch das BMJ um Anmerkungen zum ersten Entwurf für eine Konvention des Europarates über den Anwaltsberuf gebeten und äußerte sich nun insbesondere zur Definition des Anwalts. Sie spricht sich für eine klare Definition aus, welche sich an der „Recommendation No. R (2000)21“ des Ministerkomitees über die freie Ausübung des Rechtsanwaltsberufs orientiert. Durch die Konvention sollen Personen geschützt werden, die gerade aufgrund ihres Status als berufener Berater und Vertreter in allen gerichtlichen und außergerichtlichen rechtlichen Angelegenheiten für die Einhaltung anwaltlicher „core values“ – Unabhängigkeit, Verschwiegenheit und ihrem Verbot der Wahrnehmung widerstreitender Interessen – sowie ferner für Integrität und Zuverlässigkeit bürgen und deshalb zur Wahrung des ihnen entgegengebrachten Vertrauens ihrer Mandanten eines besonderen Schutzes vor staatlicher Kontrolle und Bevormundung bedürfen. Die Stellungnahme der BRAK finden Sie unter folgendem Link: https://www.brak.de/fileadmin/05_zur_rech tspolitik/stellungnahmen-pdf/stellungnahmen-deutschl and/2022/stellungnahme-der-brak-2022-30.pdf (jki) 93. Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 1./2.6.2022 Am 1. und 2.6.2022 fand unter dem Vorsitz des Landes Bayern die 93. Frühjahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminister (JuMiKo) statt. Insbesondere möchten wir Ihr Augenmerk auf folgende Beschlüsse richten: TOP I.2 Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren im Verwaltungsprozess Nicht zuletzt der russische Angriff auf die Ukraine hat deutlich gezeigt, dass Deutschland seine Abhängigkeit von den Ressourcen anderer Staaten reduzieren muss, um seine Handlungsfähigkeit und Versorgungssicherheit zu bewahren. Dies kann nur gelingen, wenn auch die Planungs- und Genehmigungsverfahren für große Infrastrukturvorhaben beschleunigt werden. Die Justizministerinnen und Justizminister erachten es für erforderlich, hierfür – in Fortführung ihrer bisherigen Überlegungen – das verwaltungsgerichtliche Verfahren weiter zu optimieren. Sie begrüßen die Ankündigung des Bundesministers der Justiz, kurzfristig Vorschläge zur Beschleunigung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vorzulegen, und bitten ihn, die Länder frühzeitig und umfassend in die anstehenden Arbeiten einzubinden und den Bedürfnissen der Praxis Rechnung zu tragen. TOP I.3 10-jähriges Bestehen des Zentralen Testamentsregisters – Effizienzvorteile des modernen Benachrichtigungswesens auch im Nachlassverfahrensrecht optimal ausnutzen Das von der Bundesnotarkammer im staatlichen Auftrag geführte Zentrale Testamentsregister (ZTR) feiert in diesem Jahr sein 10-jähriges Bestehen. Die Justizministerinnen und Justizminister würdigen, dass das ZTR seine volle Leistungsfähigkeit als zentraler Bestandteil des deutschen Nachlasswesens erreicht hat: Auf Basis eines Bestands von über 22 Millionen registrierter Testamente, Erbverträge und sonstiger erbfolgerelevanter Urkunden gewährleistet das ZTR im elektronischen Datenaustausch mit allen beteiligten Stellen, dass Testamente und andere erbfolgerelevante Urkunden im Sterbefall aufgefunden und eröffnet werden, und sichert so den letzten Willen der verstorbenen Person. Die Justizministerinnen und Justizminister sind der Auffassung, dass die sich aus dem modernen Benachrichtigungssystem ergebenden Effizienzvorteile auch im Nachlassverfahrensrecht optimal genutzt werden sollten. Sie bitten daher den Bundesminister der Justiz, die bereits bei Einführung des ZTR als erforderlich angesehene Prüfung, ob der Sicherungsmechanismus der sogenannten Fortlebensermittlung nach § 351 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) nach Erreichen des Vollbetriebs des ZTR noch angemessen ist oder gegebenenfalls angepasst werden sollte, nunmehr durchzuführen. Berichte und Bekanntmachungen KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 49

TOP I.5 Einführung einer „Schriftsatzform“ im BGB und Anpassung weiterer Formvorschriften an den elektronischen Rechtsverkehr Aufgrund der voranschreitenden Digitalisierung und der zunehmend größer werdenden Bedeutung des elektronischen Rechtsverkehrs ist es erforderlich, eine Regelung zu schaffen, die gewährleistet, dass materiell-rechtliche Schriftformerfordernisse auch durch die Zustellung elektronisch eingereichter prozessualer Schriftsätze eingehalten werden. Zahlreiche Formvorschriften des materiellen Rechts schließen die schriftform-ersetzende elektronische Form ausdrücklich aus. Angesichts der voranschreitenden Digitalisierung und der wachsenden Bedeutung des elektronischen Rechtsverkehrs erscheint es überprüfungswürdig, ob diese Ausschlusstatbestände noch zeitgemäß sind. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder bitten daher den Bundesminister der Justiz, eine Regelung vorzuschlagen, wonach materiell-rechtliche Schriftformerfordernisse auch durch die Zustellung elektronisch eingereichter prozessualer Schriftsätze eingehalten werden, und diejenigen Vorschriften des materiellen Rechts, welche die schriftformersetzende elektronische Form ausdrücklich ausschließen, dahingehend zu überprüfen, ob die Funktionen der Schriftform jeweils auch durch die elektronische Form hinreichend gewährleistet werden. Die Bundesrechtsanwaltskammer ist bezüglich dieser Thematik bereits im Gespräch mit der AG ERV der Bund-Länder-Kommission für Informationstechnik. TOP I.6 Gesetzgeberische Maßnahmen für Massenverfahren und Sammelklagen bleiben dringend erforderlich Die Zivilgerichte sind weiterhin mit Massenverfahren stark belastet. Besondere Herausforderungen ergeben sich auch bei Klagen, in denen eine Vielzahl von Einzelverfahren gebündelt sind. Unverzichtbar sind auch nach Ansicht der Praktiker-Arbeitsgruppen Anpassungen des materiellen Zivilrechts, des Zivilprozessrechts, des Berufs- bzw. Rechtsdienstleistungsrechts sowie des Gebühren- und Kostenrechts. Die Justizministerinnen und Justizminister sehen vor allem Regelungsbedarf unter folgenden Gesichtspunkten. Dabei dürfen durch die angestrebten Gesetzesänderungen berechtigte Ansprüche von Geschädigten nicht beschränkt werden. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen ihre Rechte weiterhin effektiv durchsetzen können. a) Der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz erfordert eine rasche rechtssichere Klärung der den Massenverfahren zugrunde liegenden Rechtsfragen. Hierzu kann auch auf die Vorschläge der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zum Vorabentscheidungsverfahren zurückgegriffen werden. b) Bei der Umsetzung der Verbandsklagerichtlinie sind auch die Herausforderungen für die Gerichte durch die Massenverfahren in den Blick zu nehmen. c) Es bedarf Regelungen, die unter Wahrung der Parteirechte eine Konzentration von Beweisaufnahmen ermöglichen, um bei gleichgelagerten Sachverhalten die vielfache Wiederholung von Zeugenvernehmungen und Sachverständigengutachten zu vermeiden. d) Die in Massenverfahren teilweise von nicht individualisiertem Parteivortrag geprägten Schriftsätze verursachen einen erheblichen gerichtlichen Aufwand bei der Sachverhaltserfassung. Es ist zu überlegen, ob bzw. wie in diesen Fällen den Gerichten Strukturvorgaben für einen einzelfallbezogenen und konzentrierten Parteivortrag und deren Durchsetzung erleichtert werden könnten. e) Der aufgrund weitgehend deckungsgleicher Sachverhalte in großen Teilen identische Parteivortrag in Massenverfahren rechtfertigt es, Anpassungen der Rechtsanwaltsgebühren, wenn ein Prozessbevollmächtigter in einer Vielzahl von gleichgelagerten Verfahren tätig wird, zu prüfen. TOP I.7 Elektronische Erfassung von Vorsorgedokumenten im Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer Mit der Registrierung der Vorsorgedokumente beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer (ZVR) wird sichergestellt, dass Gerichte und – ab 1.1.2023 – Ärzte rasch in Erfahrung bringen können, ob ein Vorsorgedokument existiert und wo es sich befindet. Das ZVR bietet hingegen nicht die Möglichkeit, sich direkt über den Inhalt der Vorsorgedokumente zu unterrichten. In einem ersten Schritt sollte es daher dem Verfasser, sofern von ihm gewünscht, rechtlich und technisch ermöglicht werden, eine Kopie seiner Vorsorgedokumente – Vorsorgevollmacht, Betreuungsverfügung und Patientenverfügung – im ZVR zu erfassen. Darauf aufbauend sollte in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob und in welchem Umfang der Inhalt des ZVR einen Rechtsschein erzeugen soll, auf den sich der Rechtsverkehr verlassen kann. Damit würde das Selbstbestimmungsrecht des Betroffenen maßgeblich gestärkt, Angehörigen würde es erleichtert, Entscheidungen für den Betroffenen zu treffen, die handelnden Ärzte erhielten schneller Kenntnis von den Behandlungswünschen und damit mehr Rechtssicherheit bei der Behandlung des Betroffenen und die Betreuungsgerichte würden entlastet. Die Justizministerinnen und Justizminister der Länder bitten daher den Bundesminister der Justiz, zur Stärkung der privaten Vorsorgeinstrumente in einem ersten Schritt die elektronische Erfassung von VorsorgedokuBerichte und Bekanntmachungen 50 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022

menten rechtlich und gemeinsam mit der Bundesnotarkammer und der Landesjustizverwaltung NordrheinWestfalen technisch im ZVR zu ermöglichen und in einem zweiten Schritt zu prüfen, ob und in welchem Umfang der Inhalt des ZVR einen Rechtsschein erzeugen soll, auf den sich der Rechtsverkehr verlassen kann. TOP I.14 Pakt für den Rechtsstaat – Stärkungspakt Justiz Die Justizministerinnen und Justizminister begrüßen die Vereinbarung im Koalitionsvertrag auf Bundesebene, mit den Ländern den Pakt für den Rechtsstaat zu verstetigen und ihn um einen Digitalpakt für die Justiz zu erweitern, sowie die gemeinsame Bereitschaft von Bund und Ländern, den Rechtsstaat und das Vertrauen in den Rechtsstaat hierdurch weiter zu stärken. Sie bekräftigen in diesem Zusammenhang ihre Beschlüsse aus den Konferenzen vom 16.6.2021 (vgl. BRAKNr. 321/2021 v. 21.6.2021) und vom 11./12.11.2021 (vgl. BRAK-Nr. 524/2021 v. 15.11.2021). Die Justizministerinnen und Justizminister sind sich einig, dass der erste Pakt für den Rechtsstaat die Schaffung von neuen und für die Aufgabenerfüllung der Justiz dringend erforderlichen Stellen in der Justiz unterstützt hat. Sie betonen noch einmal, dass zur Verstetigung des Paktes eine dauerhafte und nachhaltige Weiterfinanzierung der im Rahmen des ersten Paktes für den Rechtsstaat zur Personalverstärkung eingerichteten Planstellen und Stellen zwingend erforderlich ist. Zudem müssen die ständig wachsenden und auf Dauer angelegten Anforderungen berücksichtigt werden, die durch die Gesetzgebung des Bundes für die Justiz der Länder verursacht werden. Sie sehen hier weiterhin den Bund auch insoweit mit in der Verantwortung, als ein erneuerter Pakt für den Rechtsstaat die zusätzlichen Herausforderungen für die Justiz berücksichtigen muss und daher bei der Weiterfinanzierung der bislang geschaffenen Stellen nicht stehen bleiben darf. Die Justizministerinnen und Justizminister sind auch weiterhin der Überzeugung, dass der neue Pakt die Vereinbarung gemeinsamer Investitionen von Bund und Ländern in die Digitalisierung zum Inhalt haben muss. Eine IT-gestützte Justiz muss nicht nur verlässlich, verzögerungsfrei und hochverfügbar, sondern in zunehmendem Maße auch gegen Angriffe von außen abgesichert werden. Ihr flächendeckender und nachhaltiger Ausbau fordert erhebliche zusätzliche sachliche und personelle Ressourcen. Bund und Länder müssen bei dieser zentralen Zukunftsaufgabe zusammenarbeiten, um die Chancen der Digitalisierung in der Justiz zu nutzen. Insbesondere aufgrund der bundesgesetzlich vorgegebenen Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs und der elektronischen Akte bis Ende 2025 ist der Bund nach Auffassung der Länder aufgefordert, sie sehr zeitnah bei ihren erheblichen Investitionen in moderne Technik und bei der Beschäftigung von IT-Spezialisten zu unterstützen. Dies erfordert eine effektiv koordinierte Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern, um die Digitalisierungsvorhaben zielgerichtet zu priorisieren und zeitlich wie inhaltlich nachhaltig abzustimmen. Die Länder werden deshalb bis zur nächsten Konferenz der Amtschefinnen und Amtschefs den Umsetzungsstand der E-Akte, den Stand der Digitalisierung und die bestehenden Umsetzungsbedarfe ermitteln, darstellen und bewerten, um gemeinsam mit dem Bund dessen Unterstützung für die Länder priorisieren zu können. Die Justizministerinnen und Justizminister halten es ausdrücklich für erforderlich, dass das Bundesministerium der Justiz entsprechend seiner Ankündigung nunmehr zeitnah mit den Ländern in konkrete Verhandlungen über einen erneuten Pakt für den Rechtsstaat eintreten wird. Aus Sicht der Länder muss der Pakt als zukunftsfähiger „Stärkungspakt Justiz“ die finanzielle Unterstützung der Länder bei ihren Bemühungen um eine angemessene Personalausstattung fortschreiben und intensivieren sowie den finanziellen Rahmen für eine auf Dauer angelegte, stetige und geordnete Zusammenarbeit bei der Bewältigung der vielfältigen Herausforderungen der Digitalisierung vorgeben. TOP I.16 Vor Mietwucher besser schützen! Die JuMiKo hat sich mit der anhaltenden Wohnungsknappheit in vielen deutschen Städten befasst, die sich in Kürze noch deutlich durch die Notlage der durch den russischen Angriffskrieg vertriebenen Ukrainerinnen und Ukrainer, die in der Bundesrepublik Deutschland schnellstmöglich Unterkünfte benötigen, verschärfen könnte. Die Justizministerinnen und Justizminister stellten fest, dass die derzeitige Gesetzeslage auch unabhängig von der Aufnahme ukrainischer Geflüchteter nicht ausreichend ist, um Mietwucher effektiv entgegenzuwirken. Angesichts der aktuellen und zu befürchtenden Entwicklungen auf dem Wohnungsmarkt hält es die JuMiKo daher für dringend geboten, die Vorschriften zum Schutz von Mietwucher kurzfristig effektiver auszugestalten und bittet den Bundesminister der Justiz, sich dafür einzusetzen, dass der Bundestag zeitnah über die Gesetzesvorlage des Bundesrates „Entwurf eines Gesetzes zur besseren Bekämpfung von Mietwucher“ (BT-Drs. 20/1239) beraten und Beschluss fassen wird. TOP I.17 Mieterinnen und Mieter vor uferlosem energiekostenbedingtem Anstieg von Indexmieten schützen! Die Justizministerinnen und Justizminister haben sich auch mit den Auswirkungen der jüngsten Preisentwicklung auf diejenigen Mietverhältnisse befasst, bei denen die Vertragsparteien eine Indexmiete vereinbart haben. Vor dem Hintergrund aktuell extremer PreisentwickBerichte und Bekanntmachungen KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 51

lungen, vor allem im Bereich der Energiekosten, hält es die JuMiKo für geboten, über die bestehenden Regelungen zur Indexmiete hinaus einen Mechanismus zum Schutz der Mieterinnen und Mieter vor einem ungebremsten, energiekostenbedingten Anstieg der Indexmietpreise vorzusehen, da die Energiekosten die Mieterinnen und Mieter bereits über die Nebenkosten treffen. Die Justizministerinnen und Justizminister bitten den Bundesminister der Justiz, die Einführung einer wirksamen dämpfenden Regelung für die Erhöhung von Indexmieten zu prüfen, die eine doppelte Belastung der Mieterinnen und Mieter durch steigende Energiepreise vermeidet. TOP II.15 Konsequente Umsetzung des § 58a StPO – Richterliche Vernehmung von Zeuginnen und Zeugen Die Justizministerinnen und Justizminister nehmen den unter Beteiligung von Praktikerinnen und Praktikern erarbeiteten Leitfaden für die richterliche Vernehmung von Zeugen gemäß § 58a StPO sowie den begleitenden Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe des Strafrechtsausschusses „Konsequente Umsetzung des § 58a StPO“ zur Kenntnis. Sie begrüßen es, dass die Arbeitsgruppe in ihren Beratungen auf einzelne Aspekte der geltenden Rechtslage hingewiesen hat, die sie unter dem Blickwinkel ihrer praktischen Umsetzung für überprüfungsbedürftig hält, um die Interessen von besonders schutzbedürftigen Verletzten, insbesondere Kindern und Jugendlichen, wie auch eine umfassende Sachverhaltsaufklärung und Beweissicherung bestmöglich zu wahren. Die Justizministerinnen und Justizminister bitten den Bundesminister der Justiz, die Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe im Hinblick auf etwaige Nachjustierungen des geltenden Rechts zu prüfen und über das Ergebnis dieser Prüfung zu gegebener Zeit zu berichten. (jki) EU-Justizbarometer 2022 Die Europäische Kommission hat in der 20. KW das EU-Justizbarometer 2022 veröffentlicht, welches auch eine Bewertung der Unabhängigkeit der Anwaltschaft beinhaltet. Bewertet wird zudem die Wahrnehmung der Unabhängigkeit der Justiz durch die Öffentlichkeit. Insgesamt ist das Vertrauen in die Justiz im vergangenen Jahr EU-weit zurückgegangen. Auch in Deutschland sank der Wert um 5%, Deutschland findet sich diesbezüglich nun auf Platz 6. Das Justizbarometer liefert zur Überwachung von Justizreformen und ihren Auswirkungen in den Mitgliedsstaaten seit 2013 einen jährlichen Überblick über die für die Unabhängigkeit, die Qualität und die Effizienz der Justiz maßgeblichen Indikatoren, es stellt einen wichtigen Bestandteil des EU-Instrumentariums zur Durchsetzung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedsstaaten dar. Wie erstmals in dem vergangenen Jahr, wurde auch im aktuellen Justizbarometer die Unabhängigkeit der Rechtsanwaltskammern und der Anwaltschaft untersucht. Im Gegensatz zum Vorjahr erhält Deutschland einen vollen Punkteabzug nur aufgrund der Rechtsaufsicht durch die Exekutive. In der vergangenen Ausgabe gab es Teilabzüge in diesem Punkt sowie aufgrund mangelhafter Gewährleistung der Vertraulichkeit zwischen Anwalt und Mandant und wegen unzureichender Unabhängigkeit des Gremiums, welches Disziplinarmaßnahmen einleitet. Die Kommission unterstreicht die Bedeutung der Unabhängigkeit der Anwaltschaft und ihrer Kammern. Trotz gewisser exekutiver Aufsichtsbesuche über die Rechtsanwaltskammern in den Mitgliedsstaaten, hält die Kommission deren Unabhängigkeit für generell sichergestellt. Erstmals finden sich auch Daten zur Covid-19 Pandemie in dieser Ausgabe. Durch diese beeinflusst wurden insbesondere die Effizienz-Indikatoren wie die Verfahrensdauer. Es wird auch ein Überblick über pandemiebedingte Änderungen der Prozessordnungen oberster Gerichte gegeben. Deutschland hat hier nur Fristen angepasst, eine Reihe von Staaten hat keine Modifikationen vorgenommen. In einigen Staaten kam es zudem aufgrund der Schließung insbesondere erstinstanzlicher Gerichte zu Effizienzverlusten. Insgesamt hat sich die Effizienz der Justiz in Zivil-, Handels- und verwaltungsrechtlichen Verfahren in den Mitgliedsstaaten aber eher verbessert. Untersucht wurde die Verfahrensdauer von Geldwäschefällen. Zu Deutschland liegen hier keine Daten vor. Erstmals wurde in diesem Jahr die Kinderfreundlichkeit der Justiz und die Zugänglichkeit der Justiz für Personen mit Behinderung als Bestandteil der Qualität der Justizsysteme bewertet. Deutschland schneidet in beiden Punkten gut ab. Auch im Bereich Digitalisierung befindet sich Deutschland vorne bis im oberen Mittelfeld. Die schlechteste Bewertung auf diesem Gebiet gab es für den online-Zugang zu veröffentlichten Gerichtsentscheidungen. Eine wichtige Rolle für die Qualität der Justiz spielt ferner der Zugang zu Prozesskostenhilfe. In einem Drittel der Staaten hat sich dies im Vergleich zum Vorjahr verbessert, in zwei Mitgliedsstaaten trat eine Verschlechterung ein. Aus den Daten geht hervor, dass in manchen Mitgliedstaaten Personen mit Einkommen unBerichte und Bekanntmachungen 52 KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022

terhalb der Eurostat-Armutsgrenze keine derartige Unterstützung erhalten. Dieser Umstand in Verbindung mit hohen Gerichtsgebühren könnte sich auf den Zugang zum Recht dieser Personen auswirken. Die Ergebnisse des Justizbarometers fließen in den Rechtsstaatlichkeitsbericht der Kommission mit ein. (jki) Stellungnahme des Europäischen Parlaments zum Rechtsstaatlichkeitsjahresbericht der Europäischen Kommission Das Europäische Parlament hat sich am 19.5.2022 in einer Entschließung zum Rechtsstaatlichkeitsjahresbericht der Europäischen Kommission geäußert und darin die Bedeutung der Rechtsanwaltsvereinigungen für ein unabhängiges Justizsystem herausgestellt. BRAKSchatzmeister Michael Then hatte sich im Vorfeld der Abstimmung im zuständigen Ausschuss in einem Schreiben an Abgeordnete gewandt und auf die Bedeutung der entsprechenden Änderungsanträge hingewiesen. In der Entschließung soll die Sichtweise des Parlaments auf den Rechtsstaatlichkeitsbericht der Europäischen Kommission dargelegt werden. Nr. 15 über Justizsysteme enthält den entsprechenden Verweis auf die Bedeutung der Vereinigungen der Anwaltschaft, Nr. 31 nimmt Bezug auf den Einsatz von Spionagesoftware auch gegen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte. Zudem begrüßen die Abgeordneten die Fortführung des Rechtsstaatlichkeitsberichts, auch wenn der Bericht 2021 nach ihrer Ansicht eindeutigere Bewertungen hätte enthalten können. Als positiv bewerten sie weiter, dass die Kommission beabsichtigt, länderspezifische Empfehlungen abzugeben. Gefordert wird im Rahmen der Entschließung u.a., dass der Austausch mit Interessenträgen und der Zivilgesellschaft im Rahmen der Erstellung des Rechtsstaatlichkeitsberichts noch intensiviert wird und dass die bestehenden Instrumente zur Sanktionierung der Nichtbeachtung von Grundprinzipien der Rechtsstaatlichkeit intensiver als bisher genutzt werden. Die Entschließung weist auf zahlreiche weitere Rechtsstaatlichkeitsaspekte wie die Gefahr durch missbräuchliche SLAPP-Klagen oder unzureichende Haftbedingungen hin. Den Initiativbericht erarbeitet hat der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten (LIBE) des Parlaments, Berichterstatterin war dort die deutsche Grünen-Abgeordnete Terry Reintke. Ebenfalls von Interesse ist die Stellungnahme des Rechtsausschusses (JURI) zu diesem Dossier, welche unter Ziffer 5 und 7 noch ausführlichere Passagen zur Bedeutung der Anwaltschaft und ihrer Selbstverwaltung im Rechtsstaat enthält. Berichterstatter im JURI war Franco Roberti (IT/S&D). Die vollständige Stellungnahme finden Sie unter folgendem Link https://www.europarl.europa.eu/doceo/d ocument/TA-9-2022-0212_DE.html. (jki) EU-Kommission zu Rechtsstaatlichkeit in Deutschland und Europa Am 13.7.2022 wurde der diesjährige Rechtsstaatlichkeitsbericht der Europäischen Kommission nebst Länderberichten und erstmals auch länderspezifischen Empfehlungen veröffentlicht, welche sich auch mit dem Pakt über den Rechtsstaat und Ressourcen für das Justizsystem befassen. Der Bericht untersucht Justizsysteme, den Antikorruptionsrahmen, Medienpluralismus und institutionelle Fragen in Zusammenhang mit der Gewaltenteilung. Er kommt zu dem Schluss, dass in der Union einerseits weiterhin positiv zu bewertende Reformen stattfinden, andererseits ernste Bedenken in Bezug auf manche Mitgliedstaaten bestehen bleiben. Die Kommission hatte in Vorbereitung des Berichts eine umfangreiche Konsultation von Interessenträgern durchgeführt und ist in diesem Rahmen auch an die BRAK herangetreten, welche sich mittels Stellungnahme und im Rahmen eines virtuellen Länderbesuchs daran beteiligt hat. Die Stellungnahme der BRAK wird im Länderbericht zu Deutschland an einigen Stellen zitiert. Die Empfehlungen für Deutschland betreffen zunächst den neuen Pakt für den Rechtsstaat, in den auch die Anwaltschaft einbezogen werden soll, und die Bereitstellung von Ressourcen für das Justizsystem, diesen Punkt hatte die BRAK in ihrer Stellungnahme aufgegriffen. Zudem sollen die Pläne zur Einführung eines „Fußabdrucks“ zur Überwachung und Rückverfolgung der Lobbyistenaktivitäten im Gesetzgebungsverfahren weiterverfolg werden. Dann sollen dem Drehtüreffekt vorgebeugt und ein Informationsrecht der Presse in Bezug auf Bundesbehörden eingeführt werden. Schließlich soll der Plan zur Anpassung der Steuerbefreiung Berichte und Bekanntmachungen KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 3/2022 53

RkJQdWJsaXNoZXIy ODUyNDI0