Editorial Abwicklung abwickeln? Thiemo Jeck Liebe Kolleginnen und Kollegen, scheidet eine Rechtsanwältin oder ein Rechtsanwalt aus der Anwaltschaft aus, kann die Rechtsanwaltskammer eine Abwicklerin oder einen Abwickler bestellen. Dadurch soll die Fortführung der laufenden Rechtsstreitigkeiten sichergestellt werden, ohne dass ein Zeitverlust oder Mehrkosten entstehen. Die Abwicklung dient somit dem Interesse der Rechtssuchenden. Für die Vergütung der Abwicklung hat die oder der „Abzuwicklende“ aufzukommen. Allerdings haftet seit 1989 die Rechtsanwaltskammer für die Vergütung wie ein Bürge. Ist das Institut der Abwicklung überhaupt noch zeitgemäß? Diese Frage ist nicht unberechtigt, da seine Vorläufer auf das Jahr 1943 zurückgehen. Die letzten wesentlichen Änderungen der Regelungen zur Abwicklung erfolgten im Jahr 1989. Seit dieser Zeit hat sich die Anwaltschaft deutlich verändert. Nicht allein, dass sich die Anzahl der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte seit 1989 von 54.108 auf über 165.000 erhöht hat. Auch die Struktur der Anwaltschaft hat sich deutlich gewandelt. Insbesondere bis zur Abschaffung des Lokalisationsgebotes im Jahr 2007 waren die persönlichen Bindungen innerhalb der Anwaltschaft wesentlich stärker ausgeprägt. Außerdem schreitet die Spezialisierung immer weiter voran. Letztlich haben sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der Masse nicht positiv entwickelt. Früher sah der typische Fall der Abwicklung so aus: Ein Rechtsanwalt ist verstorben. Seine Kanzlei mit einem interessanten Mandantenstamm hat er bis zu seinem Tod ordentlich geführt. Ein Abwickler musste meist durch die Rechtsanwaltskammer nicht gesucht werden, da aus persönlicher Verbundenheit ein Kollege bereit war, die Abwicklung zu übernehmen. Neben der persönlichen Verbundenheit, war die Aussicht auf werthaltige Mandate ebenfalls motivierend. Eine Bürgenhaftung der Kammer war nicht notwendig, da entweder eine Einigung mit der Witwe getroffen werden konnte oder die Kanzlei genug „abwarf“. Heute sieht der „normale“ Fall der Abwicklung so aus: Ein Rechtsanwalt verliert seine Zulassung wegen Vermögenverfall. Seine Kanzlei hat er über längere Zeit bereits vernachlässigt, aber alle möglichen Vorschüsse abgerechnet. Mitarbeitende der Kammer machen sich ein Bild vor Ort. Sie finden unzählige ungeöffnete Briefe und Gerichtspost sowie unsortierte Papierakten ohne Fristkontrolle vor. Ein Abwickler? Unter diesen Umständen schwer zu finden. Wer ist schon bereit, erstmal die Kanzlei des Kollegen „aufzuräumen“, nur um festzustellen, dass keine werthaltigen Mandate vorhanden sind? Was am Ende bleibt sind mühselige Arbeit für den Abwickler (neben seiner eigenen Kanzlei!) und die Bürgenhaftung der Kammer. Dabei ist die Bürgenhaftung nicht zu unterschätzen. Durch die Rechtsprechung des BGH können für eine Abwicklung leicht Kosten in sechsstelliger Höhe für die Rechtsanwaltskammer anfallen. Das gilt insbesondere für die Fälle, in denen eine Kanzlei abzuwickeln ist, die sich auf sog. „Masseverfahren“ spezialisiert hat. Auch die Abwicklung von Berufsausübungsgesellschaften wird zukünftig ein zusätzliches Kostenrisiko für die Kammern darstellen. Wer zahlt das am Ende? Sie als Mitglied der Rechtsanwaltskammer. Unstreitig sind der Verbraucherschutz und die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege schützenswerte Rechtsgüter. Andererseits darf dies nicht zu einer Überforderung der selbstverwalteten Anwaltschaft führen. Es ist deshalb verständlich, dass sich die BRAK auf ihrer letzten Hauptversammlung mit dem Thema befasst hat. Sie setzt sich für eine Reform ein, die die Aufgaben des Abwicklers, der zukünftig „Kammerbeauftragter“ heißen soll, deutlich begrenzt. Der Kammerbeauftragte soll nur noch die laufenden Mandate feststellen (nicht mehr zu Ende führen), über die Notwendigkeit der Beauftragung einer neuen anwaltlichen Vertretung aufklären und vorhandenes Fremdgeld auskehren. Als Organ der Rechtspflege sind wir Anwältinnen und Anwälte der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege verpflichtet. Auch das besondere Vertrauensverhältnis zu unseren Mandantinnen und Mandanten ist zu schützen. Eine Abwicklung der Abwicklung darf es deshalb nicht geben. Eine Reform dagegen ist angezeigt! Ihr Thiemo Jeck Hauptgeschäftsführer der Rechtsanwaltskammer Düsseldorf KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 2/2024 27
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