Das aktuelle Thema Forschungsprojekt Strukturvorgaben – Arbeitserleichterung für den Zivilprozess der Zukunft? Von Jessica Laß, Leitende Ministerialrätin des Niedersächsischen Justizministeriums, und Dr. Hendrik Schultzky, Ministerialrat des Bayerischen Justizministeriums Das von der Universität Regensburg gemeinsam mit den Justizministerien Bayerns und Niedersachsens durchgeführte Forschungsprojekt „Strukturvorgaben für den Parteivortrag im Zivilprozess“ wird 2023 an vier Landgerichten erproben, ob und wie der Zivilprozess im digitalen Zeitalter gestaltet werden könnte1 1 Dieser Beitrag ist eine durch die Autoren auf den Kammerbezirk angepasste Fassung eines zuerst in den Mitteilungen 06/2022 der RAK München erschienen Beitrags. . I. Aufgabe des Forschungsprojekts Die Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs ist gerade abgeschlossen. Für die Gerichte steht bereits der nächste Meilenstein bei der Digitalisierung der Justiz an: Die elektronische Akte muss und wird bundesweit für den Zivilprozess und zahlreiche weitere Verfahrensarten bis 2026 eingeführt werden. Auch in den Anwaltskanzleien wird – diese Prognose kann guten Gewissens gewagt werden – nach und nach die Papierakte verschwinden. Das Rechtswesen wechselt so Schritt für Schritt aus der früheren Papierwelt in die digitale Welt. Digitalisierung kann jedoch nicht damit enden, das Arbeitsumfeld zu modernisieren. Sie nötigt auch zur Prüfung, inwieweit die Verfahrensregeln der ZPO und der übrigen Verfahrensordnungen noch zeitgemäß sind und wo Anpassungsbedarf und Optimierungspotentiale bestehen. Hier setzt ein Forschungsprojekt der Universität Regensburg mit den Lehrstühlen für Zivilprozessrecht (Prof. Dr. Althammer) und für Medieninformatik (Prof. Dr. Wolff) an, das gemeinsam mit dem Bayerischen Staatsministerium der Justiz und dem Niedersächsischen Justizministerium durchgeführt wird. Es untersucht, ob der seit gut einem Jahrhundert geübte Austausch von Schriftsätzen im bekannten Rhythmus Klage, Klageerwiderung, Replik, Duplik usw. im Zivilprozess immer noch die beste Möglichkeit ist, um zur Sache vorzutragen und sich mit den Argumenten des Gegners auseinanderzusetzen. II. Forschungsgegenstand Ausgangspunkt des Forschungsprojekts ist ein sog. digitales Basisdokument, das den gesamten Parteivortrag in sachlicher und rechtlicher Hinsicht zusammenfasst. In dem einheitlichen Dokument wird der aktuelle Verfahrensstand stets übersichtlich und frei von Wiederholungen abgebildet. Das Basisdokument soll an die Stelle des Austauschs von Schriftsätzen treten und für das Gericht Entscheidungsgrundlage sein. Die Parteivertreter tragen in diesem Modell vor, indem sie das gemeinsame Verfahrensdokument befüllen. Der Parteivortrag wird dabei weder nach Umfang noch nach Inhalt beschränkt noch wird eine bestimmte Anordnung des Parteivortrags vorgegeben. Eine inhaltliche Strukturierung, z.B. durch Vorgabe von „Kästchen“, in denen bestimmte Eingaben abgefragt werden, ist nicht vorgesehen. „Struktur“ innerhalb des Basisdokuments soll im Wesentlichen durch drei formale Ordnungsprinzipien geschaffen werden: Die Notwendigkeit einer Gliederung und die Bezugnahme auf gegnerisches Vorbringen, wo möglich, entsprechen weitgehend der schon geübten Praxis in der Papierwelt. Neu ist lediglich das Gebot, ergänzenden Vortrag an der passenden Stelle in den eigenen Vortrag einzufügen. Auch solche rein formalen Strukturvorgaben für den Parteivortrag werden den Verfahrensablauf nicht unberührt lassen. Sie sind vielmehr Anlass, auch insoweit eine Modernisierung des Verfahrensrechts in den Blick zu nehmen. Die digitale Aufbereitung des Parteivortrags in einer geordneten Form, wie in dem Basisdokument, wird in seiner Wirkung noch verstärkt, wenn das Gericht eine aktivere Rolle einnimmt, zielgenaue Hinweise erteilt und die Abschichtung des Prozessstoffes veranlasst. Termine, in denen das Gericht mit den Parteivertretern frühzeitig die weitere Verfahrensgestaltung z.B. per Videokonferenz bespricht, sind ebenfalls eine Option. Auch zu diesen Aspekten der Strukturierung will das Projekt Erkenntnisse gewinnen. III. Einbeziehung aller Sichtweisen In der rechtspolitischen Diskussion wird zwar fast durchgängig der Befund geteilt, dass der Parteivortrag im Zivilprozess mit zunehmender Komplexität der Verfahren und auch der Prozessdauer unübersichtlicher wird und die Parteivertreter sowie die Gerichte einen erheblichen Aufwand für dessen Aufbereitung betreiben müssen. Dennoch werden Strukturvorgaben, die über die bisherigen Regelungen der ZPO hinausgehen, gerade auch von Teilen der Anwaltschaft kritisch gesehen. Die Bedenken beziehen sich neben den bestehenden (und bei der Einführung des beA leidvoll durchlebten) technischen Herausforderungen auch darauf, dass der Standpunkt der Mandantschaft nicht mehr in dem KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 1/2023 7
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