Kammermitteilungen 1/2022

Editorial Rechtsanwaltschaft – Probleme mit dem Rechtsstaat? Dr. Hans-Michael Pott Die Rechtsstaatlichkeit in der EU wird aktuell laut diskutiert. Rechtliche Zusammenhänge werden nicht immer deutlich. Die Rechtsstaatlichkeit gehört seit 1997 zu den Werten, auf die sich die Union gründet, Art. 2 EUV. Die Bedeutung des „Wertes“ für die Rechtsanwendung ist unklar. Die Prinzipien, die nach deutschem Verständnis zum Rechtsstaat gehören, sind seit jeher Teil des Europarechts, wie es der EuGH und die Grundrechtecharta der EU verstehen. Die Frage, wo der Anwendungsbereich des Wertes Rechtsstaat beginnt, hat die EU-Kommission im Sinne der Verpflichtung der Staaten aufgegriffen. In erster Linie sind es Verletzungen des Unionsrechts, die gerügt werden. Die Verpflichtung auf das Unionsrecht wird im Sinne des gebräuchlichen englischen Begriffs für „Rechtsstaat“ als Teil der rule of law gesehen. Deutschland etwa wurde wegen des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zum Kauf von Staatsanleihen durch die EZB1 1 Urteil v. 5.5.2020, 2 BvR 859/15 u. weitere. angegriffen, weil der Vorrang des Unionsrechts verletzt sei. Ähnliche Vorwürfe richten sich gegen Polen und Ungarn. Die Diskussion wird mit erheblichem Geräusch geführt und politisiert. Die EU-Kommission sammelt Erkenntnisse zur rule of law durch Befragung der Staaten mittels survey. Die Regierungen sehen sich selbst in der besten der Welten. Um nicht unkritisch zu wirken, besteht die Neigung, die Blicke auf andere Akteure zu richten, bei denen man Defizite ahnt oder zu erkennen glaubt. Das richtet sich gern gegen Organisationen der Selbstverwaltung, in Brüssel ohnehin als „Wettbewerbsverhinderer“ unbeliebt. Beispiel ist die Anklage, dass Anwälte Geldwäsche durch Unterlassen von Verdachtsanzeigen fördern und ihre Organisationen dem nicht nachgehen. Das ist beweisbar unzutreffend; eine Inschutznahme der Anwaltschaft unterbleibt. Sie wird als potentielle Gefahr für die rule of lawgesehen. Dass gegenüber der verfassten Anwaltschaft solches Misstrauen ausgesprochen wird, ist ein übler Denkfehler. Sie ist ein ungeeignetes Angriffsobjekt. Sie stützt mit Vertretung und Überwachung das Funktionieren des Rechtsstaates, auch in dem Bewusstsein, dass der Anwaltsberuf umso mehr Freude macht als der Rechtsstaat funktioniert. Ihr Dr. Hans-Michael Pott Rechtsanwalt KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 1/2022 1

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