Kammermitteilungen 1/2022

Berufsrechtliche Rechtsprechung Syndikusrechtsanwälte und beA – Entscheidung des Arbeitsgerichts Stuttgart zu Verbandsjuristen (Beschluss vom 15.12.2021 – 4 BV 139/21) Die Übermittlung eines elektronischen Dokuments durch einen gemäß §§ 46 Abs. 2, 5 Nr. 2, 46a BRAO zugelassenen Verbandsjuristen (Syndikusrechtsanwalt) über das für ihn eingerichtete besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist gemäß § 46c Abs. 3 S. 1 Var. 2 ArbGG (bzw. § 130a Abs. 3 S. 1 Var. 2 ZPO) auch dann wirksam, wenn zur Prozessvertretung nur der Verband und nicht speziell dieser Verbandsjurist bevollmächtigt wurde. § 46c Abs. 3 S. 1 ArbGG dient mit seinen Formanforderungen an Signatur und Einreichung – genauso wie die identische Vorschrift in § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO – ausschließlich der Sicherstellung der Authentizität und Integrität des eingereichten elektronischen Dokuments. Fragen der Prozessvertretung sind hierfür ohne Relevanz. Bis zur technischen Einsatzbereitschaft und organisatorischen Umsetzung des elektronischen Bürger- und Organisationenpostfachs (eBO) bleibt das beA des Syndikusrechtsanwalts eines Verbands eine sinnvolle, rechtssichere und unproblematisch nutzbare Alternative zur Teilnahme am elektronischen Rechtsverkehr. Diese vorstehenden Leitsätze begründet das Gericht bezogen auf die Stellung der betreffenden Syndikusrechtsanwältin damit, dass diese auch „verantwortende Person“ i.S.v. § 46c Abs. 3 S. 1 Var. 2 ArbGG sei. Dem stehe nicht entgegen, dass Prozessvertreter gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ArbGG der Verband war. Insbesondere werde einer Literaturmeinung, wonach bei einer Prozessvertretung durch einen Verband gemäß § 11 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 ArbGG das ERV-Pflichtenprogramm maßgebend sei, nicht gefolgt. Denn ansonsten würde für einen gemäß § 11 Abs. 2 S. 2 ArbGG handelnden Syndikusrechtsanwalt ab 1.1.2022 die aktive Nutzungspflicht aus § 46g ArbGG nicht gelten. § 46c Abs. 3 S. 1 ArbGG diene – genauso wie die identische Vorschrift in § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO – ausschließlich der Sicherstellung der Authentizität und Integrität des eingereichten elektronischen Dokuments. Genauso wenig wie bei der Unterschrift gemäß § 130 Nr. 6 HS. 1 ZPO sind bei § 130a Abs. 3 S. 1 ZPO bzw. § 46c Abs. 3 S. 1 ArbGG Fragen der Prozessvollmacht (§§ 80 ff. ZPO) oder Prozessvertretung (§ 11 ArbGG) von Relevanz. Authentizität und Integrität eines Dokuments sind unabhängig davon zu prüfen, in wessen Namen und mit wessen Befugnis die in dem Dokument enthaltenen Erklärungen abgegeben werden. Selbst ein vollmachtloser Vertreter (§ 89 ZPO) kann ein Papierdokument unterschreiben oder ein elektronisches Dokument qualifiziert signieren bzw. einfach signieren und auf einem sicheren Übermittlungsweg einreichen. In allen Fällen wird – auf die jeweilige Art – Verantwortung für den Inhalt des Dokuments übernommen. Hierzu verweist das Arbeitsgericht Stuttgart auch auf eine Parallele zu der Bevollmächtigung einer Rechtsanwaltsgesellschaft (§ 59l BRAO). Bis zum Inkrafttreten von § 31b BRAO am 1.8.2022 verfügen diese gleichfalls nicht über ein „ERV-Pflichtenprogramm“. Hierzu hat der BGH aber bereits entschieden, dass auch bei Bevollmächtigung einer Rechtsanwaltsgesellschaft die Zustellung in das beA einzelner Rechtsanwälte zulässig ist (BGH 6. Mai 2019 – AnwZ (Brfg) 69/18 – 12; ebenso Müller NZA 2019, 825, 827). Gem. § 11 Abs. 2 S. 3 ArbGG handeln Bevollmächtigte, die keine natürlichen Personen sind, – mithin auch Verbände – durch ihre Organe und mit der Prozessvertretung beauftragte Vertreter. § 11 Abs. 2 S. 3 ArbGG ist insoweit wortidentisch mit § 79 Abs. 2 S. 3 ZPO. Beide Vorschriften enthalten lediglich eine Klarstellung zur Postulationsfähigkeit von Bevollmächtigten, die keine natürlichen Personen sind: Im Prozess handlungsbefugt sind außer ihren Organen (nur) die innerhalb des Unternehmens oder Verbands „mit der Prozessvertretung beauftragten Vertreter“; diese Beauftragung zur Vertretung geschieht durch Prokura, Einzelvollmacht oder durch Satzung (Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 79 ZPO, Rn. 10). Auch wenn der „mit der Prozessvertretung beauftragte Vertreter“ damit für den eigentlichen Prozessbevollmächtigten tätig wird, so gibt er dennoch eigene Erklärungen ab. Deshalb überzeugt es nicht, dass er für diese Erklärungen „seinen“ sicheren Übermittlungsweg nicht nutzen können soll. Syndikusrechtsanwälte erbringen im Verband gem. § 46 Abs. 5 S. 2 Nr. 2 BRAO Rechtsdienstleistungen ihres Arbeitgebers gegenüber seinen Mitgliedern. Für diese Tätigkeiten sind sie als Syndikusrechtsanwälte zugelassen und hierfür haben sie ein beA. Das Gericht schließt seine Erwägungen damit ab, dass das elektronische Bürger- und Organisationenpostfach (eBO) zweifellos den „Königsweg“ (Schrade/NZA 2021, 1675, 1678) für eine Teilnahme der Verbände am elektronischen Rechtsverkehr darstelle. Bis zur technischen Einsatzbereitschaft und organisatorischen Umsetzung bleibt das beA des Syndikusrechtsanwalts eines Verbands jedoch eine sinnvolle, rechtssichere und unproblematisch nutzbare Alternative. (jki) KammerMitteilungen RAK Düsseldorf 1/2022 11

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